Im Jahr 2019 gab es in Baden-Württemberg 64,9 Hausärzte pro 100.000 Einwohner[i], 2020 versorgte ein baden-württembergischer Hausarzt im Schnitt 1.559 Einwohner[ii]. Mit diesen Zahlen steht Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich eher im unteren Mittelfeld[iii]. Hinzu kommt, dass es sich um einen landesweiten Durchschnittswert handelt. Schaut man in die einzelnen Regionen Baden-Württembergs, zeichnet sich vor allem in vielen ländlichen Regionen Baden-Württembergs seit Jahren die Verschärfung eines Hausärztemangels ab: So kommen im Zollernalbkreis über 1.800 Einwohner auf einen Hausarzt, im Landkreis Tuttlingen sind es über 2.000[iv]. In vielen Regionen wird sich diese Situation zukünftig noch zuspitzen, denn in Baden-Württemberg sind aktuell 37 Prozent der Hausärzte über 60 Jahre alt. Auf den Punkt gebracht werden über 2.600 baden-württembergische Hausärzte in den nächsten fünf bis zehn Jahren ihre Praxen abgeben und einen Nachfolger suchen[v]. Dieses gestaltet sich allerdings schwierig, da die Zahl des ärztlichen Nachwuchses im Bereich der Allgemeinmedizin bzw. der hausärztliche Orientierten aus der Inneren Medizin kleiner ist als die Zahl der aus Altersgründen ausscheidenden Ärztinnen und Ärzte. Für in den Ruhestand gehende Ärztinnen und Ärzte wird es immer schwieriger, eine geeignete Nachfolge zu finden. Hinzu kommt, dass junge Ärztinnen und Ärzte sich häufig lieber in Städten und Ballungsgebieten niederlassen als auf dem Land und dass viele nicht mehr 50 oder 60 Stunden in der Woche wie ihre Vorgänger arbeiten möchten.

Für den hausärztlichen Bereich sind diese Probleme seit langem bekannt. Mit einem Positionspapier hat die SPD-Landtagsfraktion bereits im März 2017 Vorschläge für ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum unterbreitet. Dieses Papier ist nun fortgeschrieben worden.

Der 7-Punkte-Plan für mehr Landärzte in seinen Einzelheiten:

I. Wir brauchen mehr (Land-)Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg …

  • durch die zeitnahe Einrichtung der bereits beschlossenen 150 zusätzlichen Studienplätze,
  • durch Schaffung von Anreizen zur Aktivierung nicht berufstätiger Ärztinnen und Ärzte,
  • durch Schaffung von Möglichkeiten für in Teilzeit arbeitende Ärztinnen und Ärzte, den Umfang ihrer ärztlichen Tätigkeit zu erhöhen (z.B. durch den Ausbau von Kinderbetreuung und die Möglichkeit, einen Ganztagsschulplatz zu erhalten),
  • durch bessere und schnellere Anerkennung der im Ausland erworbenen Abschlüsse von Ärztinnen und Ärzten inkl. Integration und Sprachförderung,
  • durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Land und dadurch eine Verringerung der Zahl der abwandernden Ärztinnen und Ärzte.

II. Wir brauchen eine Stärkung der Allgemeinmedizin im Studium sowie in der Wissenschaft und damit auch eine Steigerung ihrer Attraktivität …

  • durch mehr Lenkung im Studium und in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin,
  • durch eine schnellstmögliche und umfassende Umsetzung des Masterplans Medizinstudium 2020 und den damit einhergehenden Maßnahmen zur Reform des Medizinstudiums bzw.
  • durch eine Gleichstellung der Allgemeinmedizin in der Wissenschaft gegenüber den klassischen Fachgebieten in der Medizin (z.B. Lehrstühle, Forschungsmittel, wissenschaftliches Personal, Dissertationsmöglichkeiten),
  • durch das Vorantreiben der Praxisnähe im Studium und Schaffung von Möglichkeiten für Studierende, Einblicke in die Arbeit einer Hausärztin bzw. eines Hausarztes zu bekommen,
  • durch Gleichstellung der Allgemeinmedizin gegenüber der Inneren Medizin und der Chirurgie im Praktischen Jahr (z.B. durch finanzielle Anreize oder die Bereitstellung eines Mobilitätszuschusses / von Wohnraum für die Zeit des Praktischen Jahres).

III. Wir brauchen mehr Anreize für Absolventinnen und Absolventen bezüglich einer Facharztausbildung in der Allgemeinmedizin …

  • durch die Schaffung von Anreizen und eine Unterstützung beim Wechsel zwischen der Weiterbildungszeit im ambulanten und stationären Sektor (z.B. durch fortlaufende Weiterbildungsverhältnisse für die Ärztinnen und Ärzte),
  • durch eine Stärkung der Weiterbildungsverbünde,
  • in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin durch eine Teilnahme aller weiterbildungsberechtigten Krankenhäuser (bzw. ihrer Abteilungen) an den Weiterbildungsverbünden für Allgemeinmedizin,
  • durch das Angebot bzw. die Gewährleistung einer ausreichenden Anzahl von Weiterbildungsstellen in Hausarztpraxen,
  • durch eine Stärkung der Koordinierungsstelle für Allgemeinmedizin.

IV. Wir brauchen Anreize, die das Tätigwerden von Landärztinnen und -ärzten in unterversorgten Regionen erleichtern …

  • durch weiterhin bestehende Zulassungssperren und Praxisaufkäufe in „überversorgten“ Planungsbezirken,
  • durch monetäre Anreize, etwa
    • Niederlassungszuschuss durch die Kassenärztliche Vereinigung,
    • Niederlassungszuschuss aus dem Landarztprogramm der Landesregierung,
    • Niederlassungszuschuss durch die Gemeinde,
  • durch Schaffung guter Niederlassungsbedingungen durch die Gemeinde, etwa
    • das Angebot von Praxisräumen in guter Lage (zentral, Bushaltestelle, Parkplätze, Nähe zu Apotheke und Pflegeheim),
    • die Förderung attraktiver Verbünde von Akteuren im Gesundheitswesen,
    • das Angebot eines Arbeitsplatzes für Partner/innen der Ärztinnen und Ärzte,
    • die Zusicherung von Kinderbetreuungsplätzen,
  • durch den Ausbau von Alternativen zur hausärztlichen Einzelpraxis (z.B. Gemeinschaftspraxen, Berufsausübungsgemeinschaften, Medizinische Versorgungszentren, Zweigpraxen etc.),
  • durch Schaffung neuer Arbeitsmodelle zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie / Privatleben und Beruf (Verbesserung der „Work-Life-Balance“),
  • durch insgesamt mehr Möglichkeiten zum Tätigwerden von Ärztinnen und Ärzten im Angestelltenverhältnis (auch in Teilzeit),
  • durch die Schaffung von Niederlassungsmöglichkeiten bei der Umwandlung bisheriger Klinikstandorte in ambulante medizinische Zentren inkl. Hausarztpraxen,
  • durch eine Weiterführung der Notfalldienstreform.

V. Wir brauchen eine Stärkung der Stellung der hausärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte im Gesundheitssystem …

  • durch die Schaffung einer Position des Hausarztes als „Lotsen im Gesundheitswesen“ für die einzelnen Patientinnen und Patienten,
  • durch den Ausbau von Selektivverträgen,
  • durch den Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung mit der Berücksichtigung der besonderen Position des Hausarztes und einer Stärkung der Primärversorgung,
  • durch die Möglichkeit des Zugangs zu allen relevanten Behandlungsdaten von mitbehandelnden Akteuren für den jeweiligen Patienten im Rahmen von
    E-Health (z. B. bei der Einführung der elektronischen Patientenakte zum 01.01.2021),
  • durch die Verbesserung der Kommunikation mit mitbehandelnden Akteuren im Rahmen von E-Health und eine angemessene Vergütung dieser auch sektorenübergreifenden Zusammenarbeit,
  • durch weitere Veränderungen in der Honorarverteilung im Rahmen der ärztlichen Selbstverwaltung (vgl. Vorschlag des Sachverständigenrats für Gesundheit, 2014),
  • durch die Planung und Umsetzung erforderlicher Maßnahmen zur Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit in wichtigen Gremien wie z.B. der Landesgesundheitskonferenz und dem sektorenübergreifenden Landesausschuss.

VI. Wir brauchen Erweiterungen zur klassischen, persönlichen und direkten
Arzt-Patienten-Beziehung bei der Behandlung …

  • durch Delegation und Substitution bisheriger ärztlicher Tätigkeiten auf andere medizinische Fachkräfte – z.B.
    • Bachelor in Nursing,
    • VERAH (Versorgungsassistent*in in der Hausarztpraxis),
    • MoNi (Med. Fachangestellte*r im „Modell Niedersachsen“),
    • MoPra (Mobile Praxisassistent*in),
    • AGnES (Arztentlastende, gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention),
  • durch den Ausbau der Behandlung per Telemedizin am Telefon, per Chat oder in einer Video-Konferenz.

VII. Wir brauchen ergänzende, sinnvolle Maßnahmen mit Langzeitwirkung …

  • etwa eine konsequente Umsetzung der neuen Regelungen zur Vergabe der Studienplätze nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. u.a. ein standardisiertes und strukturiertes Verfahren an allen Universitäten, das konsequente Auslaufenlassen der Wartezeitenregelung sowie die Sicherstellung der Vergleichbarkeit von Abiturnoten über die Grenzen der Bundesländer hinweg)
  • und nicht die von der grün-schwarzen Landesregierung favorisierte und alleinige Maßnahme der vertraglichen Verpflichtung von Studierenden zur Aufnahme einer Tätigkeit in der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum (Landarztquote). Abgesehen davon, dass diese Maßnahme erst in 14 Jahren möglicherweise zu einigen Landärztinnen und Landärzte mehr führt – Abiturientinnen und Abiturienten können noch nicht abschätzen, welchen Weg sie in ihrem Medizinstudium einschlagen wollen. Hinzu kommt, dass ein Studienplatz in Deutschland nicht durch die Möglichkeit einer Strafzahlung „käuflich“ sein darf. Und schlussendlich lässt die Quote das Bild einer unattraktiven Tätigkeit als Allgemeinmedizinerin oder Allgemeinmediziner auf dem Land entstehen.

Positionspapier 7 Punkte für mehr Landärzte

[i] Gesundheitsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung von 2019 (https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16402.php, zuletzt abgerufen am 8.10.20)

[ii] Versorgungsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg von 2020 (www.kvbawue.de/presse/publikationen/versorgungsbericht , zuletzt abgerufen am 8.10.20)

[iii] Zum Vergleich: Die Gesundheitsdaten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung von 2019 zeigen z.B. für Bayern eine Arztdichte von 70,6 Ärzten/ 100.000 Einwohner, für Brandenburg von 65,4 Ärzten/ 100.000 Einwohner (s.o.)

[iv] Versorgungsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg von 2020 (s.o.)

[v] Versorgungsbericht der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg von 2020 (s.o.)

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik