Lehren aus der Krise ziehen – Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Industrie stärken!

Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich in einen tiefgreifenden Wandel. Wir befinden uns inmitten einer technologischen Revolution, die neue Möglichkeiten schafft, gleichzeitig aber Baden-Württemberg insbesondere in den für das Land besonders bedeutenden Schlüsselindustrien Maschinen- und Automobilbau vor große Herausforderungen stellt. Diese Entwicklungen wurden durch die Corona-Pandemie, durch die unsere Wirtschaft finanziell erheblich in Mitleidenschaft gezogen wurde, verstärkt, haben aber auch den Prozess der Transformation in vielen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens beschleunigt und auch Versäumnisse schonungslos offengelegt. Verschärft wird die Situation nun zudem durch den Krieg in der Ukraine. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Verwerfungen machen – ganz unabhängig von den drängenden Fragen der äußeren Sicherheit, die in Europa überwunden schienen – eine Neujustierung der Wirtschaftspolitik erforderlich. Die Unterbrechung von Lieferketten und weltweite wirtschaftliche Einbrüche treffen insbesondere die stark exportabhängigen Unternehmen in Baden-Württemberg enorm und führen uns vor Augen, dass die Resilienz der hiesigen Industrie und Wirtschaft gestärkt werden muss. Das betrifft unter anderem eine stärkere Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern, u.a. durch den beschleunigten Ausbau der regenerativen Energieerzeugung und die mittel- und langfristige Sicherstellung von für die industrielle Produktion benötigten Ressourcen (u.a. Halbleiter, chemische Industrie, Medizinprodukte wie Impfstoffe, Antibiotika, Zytostatika etc.). Aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion bedarf es nun folgender Schwerpunkte zur Stärkung unserer Industrie:

1. Plädoyer für die Renaissance einer aktiven Industrie- und Strukturpolitik
Baden-Württemberg ist einer der weltweit erfolgreichsten Industriestandorte. Damit das so bleibt, müssen schnell und fokussiert die Rahmenbedingungen geschaffen werden, die unsere Wirtschaft in die Lage versetzt, die anstehenden Transformation zu meistern. Die erfolgreichen Industrieansiedlungen in Brandenburg (Tesla) und Sachsen-Anhalt (Intel) zeigen, dass es wichtig ist, frühzeitig Weichen zu stellen und sich international als attraktiven Industriestandort zu präsentieren, um Investitionen zu generieren. Das setzt auch voraus, dass große Unternehmenserweiterungen und komplette Neuansiedlungen von Industrieproduktionsstätten im Land möglich werden. Baden-Württemberg darf hier nicht ins Hintertreffen geraten, weil die Landesregierung ihre Hausaufgaben nicht macht. Erforderlich ist eine proaktivere Struktur- und Ansiedlungspolitik, schnelle Verwaltungsverfahren mit Konzentrationswirkung, einheitliche Ansprechpartner*innen unter Einbindung der Landesvertretungen in Berlin und Brüssel. Wenn möglich
sollten dem Beispiel aus Magdeburg folgend konkrete Freihalteflächen bereits vorab beplant werden, um im Falle der Interessensbekundung von in- und ausländischen Investor*innen nicht unnötig Zeit zu verlieren.

2. Zugang zu regenerativen Energieressourcen als zentraler Standortfaktor einer leistungsstarken Industrie
Die baden-württembergische Industrie muss stärker darauf ausgerichtet werden, künftig unabhängiger von Energielieferungen (Gas/Kohle) aus dem außereuropäischen Ausland zu werden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss durch die Errichtung leistungsfähiger Netze (Suedlink) und durch eine dezentrale Energieerzeugung vor Ort beschleunigt werden. Die Landesregierung ist gefordert, den rascheren Umstieg auf erneuerbare Energien voranzutreiben und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der EnBW kommt hierbei eine zentrale Rolle zu.
Planfeststellungsverfahren zum Ausbau erneuerbarer Energien müssen beschleunigt durchgeführt werden. Industrieansiedlungen müssen darin unterstützt werden, sich autark und unabhängig Energie zu besorgen. Gleichzeitig muss auch auf Produktseite, insbesondere im Automobilsektor, in der Bauwirtschaft und in der chemischen Industrie, der Umstieg auf regenerative Energien und nachwachsende Rohstoffe stärker vorangetrieben werden.

3. Stärkere Verzahnung von Forschung und Industrie-Produktion (Know-How-Transfer)
Förderkulissen des Landes in den Bereichen Innovationen und Investitionen müssen prioritär auf die industriellen Bereiche fokussiert werden, die die Resilienz und Transformation stärken. Die vorhandenen Landesprogramme (z.B. InvestBW) müssen soweit erforderlich entsprechend angepasst und ausgebaut werden. Von Landesseite muss in den Blick genommen werden, dass bestehende Förderprogramme (Batteriezellforschung, Künstliche Intelligenz etc.) sowie Einrichtungen (CyberValley etc.) stärker auf den Transfer von Grundlagen bzw. anwendungsorientierter Forschung in eine potenziell skalierbare Produktionsreife münden. Ziel muss sein, nicht nur die vorhandene Spitzenforschung weiter in Baden-Württemberg zu etablieren, sondern auch den Rahmen zu schaffen, neben Arbeitsplätzen in der Forschung eine nennenswerte Anzahl von gut bezahlten Facharbeitsplätzen in der Produktion zu sichern. Optimalerweise verfügt die baden-württembergische Wirtschaft auch bei den technologischen Innovationen in Zukunft über weitgehend geschlossene Produktkreisläufe mit hohen Fertigungstiefen.

4. Beschäftigung sichern, Weiterbildung fördern
Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten muss die Beschäftigungssicherung an oberster Stelle stehen. Daher sind alle industriepolitischen Maßnahmen darauf auszurichten, Arbeitsplätze zu erhalten und neue, gleichwertige Arbeitsplätze zu schaffen. Die derzeitige schwierige Situation muss Anlass sein, die Weiterbildung zu stärken und von Landesseite Instrumente bereitzustellen, um die Qualifizierung von Beschäftigten zu unterstützen, damit sie und die Unternehmen in der Lage sind, die Herausforderungen der Transformation zu meistern. Das Land muss hierfür zusammen mit Arbeitgebern und Gewerkschaften Maßnahmen für eine Forcierung der Weiterbildung entwickeln und bereit sein, die Weiterbildung auch finanziell stärker zu fördern. Die Verfügbarkeit von Fachkräften ist eine wichtige Voraussetzung, um Unternehmen für Neuansiedlungen in Baden-Württemberg zu gewinnen.

5. Mitbestimmung bleibt Motor für technologischen und sozialen Fortschritt
Der Standort Baden-Württemberg ist auch deshalb so erfolgreich, weil Mitbestimmung und Tariftreue Grundpfeiler der hiesigen Industrie sind und damit ein hohes Maß an Planungssicherheit für Unternehmen wie auch für Beschäftigte bieten. Daher müssen Mitbestimmung und Tarifbindung weiter gestärkt werden, auch vor dem Hintergrund des Wettbewerbs um Fachkräfte. Technischer Fortschritte muss in Baden-Württemberg immer auch mit sozialem Fortschritt einhergehen. Betriebsrät*innen sollen verbindlich in Entscheidungen der Energieversorgungssicherheit und der Innovation eingebunden werden. Das stärkt
zudem die Legitimation von Entscheidungen über die Ausrichtung von Unternehmen in Zeiten des Wandels.

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