Wolfgang Drexler: „Diese Zerschlagung wird die Integration psychisch Kranker und behinderter Menschen erschweren und zudem die Kommunen sehr viel Geld kosten“
Ulla Haußmann: „Vor drei Jahren hat Teufel im Landtag das genaue Gegenteil von dem beschließen lassen, was er jetzt plant“
Die SPD-Landtagsfraktion wendet sich vehement gegen die von Erwin Teufel geplante Zerschlagung der beiden Landeswohlfahrtsverbände. Nach den Worten des SPD-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Drexler gibt es dagegen schwerwiegende fachliche, finanzielle und behindertenpolitische Einwände der Fachleute, die von der SPD in vollem Umfang geteilt würden. Tenor: Die 44 Stadt- und Landkreise, die künftig die bisher zentral von den zwei Landeswohlfahrtsverbänden wahrgenommenen Aufgaben übernehmen sollen, sind dazu ohne Qualitätsverluste gar nicht in der Lage. Ohne Not, so Drexler, setze Teufel die soziale Infrastruktur für behinderte und psychisch kranke Menschen aufs Spiel. Zudem kämen durch diese Zerschlagung auf die Kommunen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zu. Völlig zu Recht habe der Gemeindetag darauf hingewiesen, dass die Aufgaben der beiden Landeswohlfahrtsverbände, wenn sie auf 44 Stadt- und Landkreise verteilt werden, insgesamt nicht wirtschaftlicher erledigt werden können. Der Gemeindetag warne deshalb eindringlich vor steigenden Kosten.
Drexler verwies auf Berechnungen des Landeswohlfahrtsverbandes Württemberg-Hohenzollern, wonach durch eine Auflösung Mehrkosten für die Kommunen in einer Größenordnung von 130 Millionen Euro entstehen. Allein die zusätzlichen Personalaufwendungen würden mit 5,5 Millionen Euro zu Buche schlagen. Hinzu kämen erhebliche Mehrbelastungen im Leistungsbereich, weil zu erwarten sei, dass bei dezentralen Pflegesatzverhandlungen vor allem große Träger die Stadt- und Landkreise gegeneinander ausspielen und dadurch höhere Pflegesätze durchsetzen.
Mit Blick auf die kontroverse Diskussion innerhalb der Landes-CDU zu diesem Thema appellierte Drexler an die CDU-Kommunalpolitiker, diese sozialpolitisch falsche und finanzpolitische für die Kommunen verheerende Entscheidung zu verhindern. Erst kürzlich, so Drexler, habe der Vorsitzende der kommunalpolitischen Vereinigung der CDU, der Singener OB Andreas Renner, erklärt, dass die Kreise organisatorisch, finanziell und personell wohl nicht in der Lage seien, die Mehrbelastungen zu tragen. Dies gelte erst recht für die in schweren Finanznöten steckenden großen Städte.
Drexler: „Teufels Sturheit bei der Verwaltungsreform darf nicht zur Richtschnur für Entscheidungen über künftige Hilfen für behinderte Menschen werden. Ich erwarte von den CDU-Kommunalpolitikern, dass sie ihren Worten Taten folgen lassen und die Zerschlagung der Landeswohlfahrtsverbände, auch im Interesse der Kranken und Behinderten, verhindern.“
„Nur die zweitbeste Lösung“
Die Erhaltung der beiden Landeswohlfahrtsverbände in der jetzigen Form ist aus Sicht der SPD allerdings nur die zweitbeste Lösung, erzwungen durch die unsinnige Verwaltungsreform Erwin Teufels. Die optimale Lösung wäre es, die überörtlichen Träger der Sozial- und Jugendhilfe, wie in Bayern, auf regionaler Ebene anzusiedeln. Die von der SPD im Rahmen ihres Verwaltungsreformkonzeptes vorgeschlagenen Regionalkreise wären dafür die geeignete Verwaltungseinheit. Dann gäbe es in Baden-Württemberg acht überörtliche Träger, in Bayern gibt es sieben.
Drexler: „Dieser bürgernahe und sozialpolitisch vernünftige Vorschlag der SPD hat wegen der verfehlten Verwaltungsreformpläne Teufels derzeit leider keine Realisierungschance. Es ist deshalb vernünftig, die beiden Landeswohlfahrtsverbände in der jetzigen Form als überörtliche Träger der Sozial- und Jugendhilfe zu erhalten. Die Bildung eines wohnort- und bürgerfernen zentralistischen Landeswohlfahrtsverbandes nach Art von Erwin Teufel jedoch ist in jeder Hinsicht der falsche Weg.“
In der Sozial- und Jugendhilfe, so Drexler, bestehe immer ein Spannungsfeld zwischen Wohnortnähe der Verwaltung und den fachlichen Ansprüchen sowie der Notwendigkeit der Bildung effektiver zentraler Verwaltungsebenen. In vielen Bereichen der sozialen Sicherung sei die Ebene des Stadt- und Landkreises zu klein und die Ebene der bisherigen Landeswohlfahrtsverbände zu groß. „Die Regionalkreise dagegen wären genau richtig!“ Für sinnvoll allerdings hält die SPD die Übertragung von Aufgaben von den beiden Landeswohlfahrtsverbänden auf die Stadt- und Landkreise dort, wo es um die Integration behinderter Kinder und Jugendlicher in Kindergärten und Schulen geht. „Hier können durch eine engere Verbindung zur örtlichen Jugendhilfe Synergieeffekte entstehen, wodurch ambulante Hilfen ausgebaut und Kosten für stationäre Hilfen eingespart werden können“, so Drexler.
Ulla Haußmann: Vor drei Jahren hü, heute hott – die sozial- und behindertenpolitische Konzeptionslosigkeit der Landesregierung
Nach den Worten der sozialpolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Ulla Haußmann, offenbaren die Regierungspläne zur Zerschlagung der Landeswohlfahrtsverbände die ganze sozial- und behindertenpolitische Konzeptionslosigkeit der Landesregierung: „Erst vor drei Jahren wurde im Land ein Gesetz beschlossen, mit dem Zuständigkeiten in der Eingliederungshilfe für Behinderte von den Stadt- und Landkreisen auf die beiden Landeswohlfahrtsverbände übertragen wurden. Diese sinnvolle Maßnahme soll nun, kaum dass sie in Kraft getreten ist, wieder rückgängig gemacht werden.“
In der Gesetzesbegründung hatte die Landesregierung damals wörtlich ausgeführt: „Zur Verbesserung der Hilfen für Behinderte, aber auch zur Reduzierung der durch die steigende Zahl Behinderter wachsenden Kosten der stationären Eingliederungshilfe haben die überörtlichen Träger in den letzten Jahren neue Wohnkonzepte mit ambulanter Betreuung entwickelt. Die Umsetzung dieser Konzepte wird durch die derzeitige Aufgabenverteilung erschwert, weil die örtlichen Träger die Kosten dafür tragen müssten und diese je nach Standort der Behinderteneinrichtungen dadurch finanziell unterschiedlich belastet würden.“ (vgl. Drs. 12/4277; S. 6).
Die SPD-Sozialexpertin kritisierte, dass Erwin Teufel mit seinem „Verwaltungsreformgeschachere“ keinerlei Rücksicht nehme auf die Bedürfnisse psychisch kranker und behinderter Menschen. Denn deren Hilfsangebote würden sich zwangsläufig verschlechtern.
Kostengünstige Strukturen werden zerstört – Folge: mehr stationäre Unterbringung
In Baden-Württemberg, so Haußmann, bestünden derzeit in der Eingliederungshilfe für Behinderte funktionierende und kostengünstige Strukturen. Pro Einwohner werden für die Eingliederungshilfe im Bereich des LWV Württemberg-Hohenzollern 75 Euro, im Bereich des LWV Badens sogar nur 69 Euro ausgegeben. Lediglich in Sachsen und in vier der sieben bayerischen Bezirke liegen diese Pro-Kopf-Ausgaben noch niedriger. „Wer angesichts dieser Zahlen die Kosten weiter drücken will, der muss klar sagen, dass dies nur durch Qualitätsverschlechterungen und den Abbau von Hilfsangeboten für behinderte Menschen zu erreichen ist.“
In Baden-Württemberg leben nach den Angaben Haußmanns rund 1,3 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Davon sind rund 700.000 Menschen schwerbehindert. Rund 25.000 Behinderte sind in 240 Haupt- und Zweigwerkstätten für behinderte Menschen (WfbM/Werkstatt für behinderte Menschen) beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es Förder- und Betreuungsgruppen (FuB) für Behinderte, die aufgrund der Schwere ihrer Behinderung nicht in einer WfbM arbeiten können. Zudem besteht in Baden-Württemberg ein breit gefächertes Wohnangebot für behinderte Menschen, etwa in Wohnheimen, Außenwohngruppen oder in Form betreuter Wohnangebote.
Für alle diese Bereiche sei die Ebene der Stadt- und Landkreise für eine effiziente Planung von Hilfsangeboten viel zu klein, so Haußmann. „Wenn künftig eine landkreisübergreifende Planungs- und Kostenträgerebene fehlt, dann werden Defizite bei ambulanten und teilstationären Angeboten in einzelnen Stadt- und Landkreisen zu vermehrter stationärer Unterbringung führen. Dies wird massive Kostensteigerungen nach sich ziehen. Genau dies war der Grund, weshalb die Landesregierung den Landeswohlfahrtsverbänden vor drei Jahren zusätzliche Zuständigkeiten in der Eingliederungshilfe übertragen hat.“ Der Hilfebedarf von Menschen mit Behinderungen sei sehr unterschiedlich. Entsprechend differenziert und komplex seien die Hilfsangebote. Die Vermittlung und Beratung zu den entsprechenden Leistungen erfordere spezialisierte Fachkenntnisse der Verwaltung. Es sei unmöglich, den bisher in zwei Landeswohlfahrtsverbänden gebündelten Sachverstand ohne massive Kompetenz- und Qualitätsverluste auf 44 Stadt- und Landkreise zu übertragen.
Die Kritik der Behinderten- und Wohlfahrtsverbände
Die SPD-Sozialexpertin verwies darauf, dass mittlerweile eine ganze Reihe von Stellungnahmen von Behinderten- und Wohlfahrtsverbänden vorliegen, wonach die bestehenden Angebote gefährdet sind. So hätten sich der Landesverband der Lebenshilfe und der Landesverband der Körper- und Mehrfachbehinderten in einer gemeinsamen Stellungnahme für landesweit einheitliche Regelungen ausgesprochen. Hilfen für behinderte Menschen dürften nicht vom Wohnort abhängig sein. Der Caritasverband Rottenburg-Stuttgart weise darauf hin, dass es zur Ausgestaltung des Wunsch- und Wahlrechts der Betroffenen überörtlicher Funktionen bedürfe. Der Ausbau der Hilfe-Infrastruktur und die Sicherstellung einer angemessenen Sozialplanung bräuchten eine zentrale Struktur.
Die Stiftung Liebenau, ein großer Träger der Eingliederungshilfe, befürchtet bei einer Aufgabenverlagerung auf die Stadt- und Landkreise erhebliche Verwerfungen mit schwerwiegenden negativen Folgen für die betroffenen Menschen und erhebliche soziale Konflikte aufgrund des möglichen Hin- und Herschiebens der Verantwortung für behinderte Menschen zwischen den verschiedenen Stadt- und Landkreisen. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme der Stiftung Liebenau: „Die besondere Schutzwürdigkeit von Menschen mit Behinderungen erfordert landesweit vergleichbare Mindeststandards, die nicht kurzfristigen politischen Entscheidungen unterworfen sein dürfen. Bei einer Aufgabenverlagerung auf die einzelnen Stadt-/Landkreise besteht die Gefahr einer Abwärtsspirale, da jeder Kreis ein Interesse daran haben wird, seine individuellen Kosten zu senken und die Attraktivität für einen möglichen Zuzug von behinderten Menschen bzw. deren Familien zu begrenzen.“