Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

seit über 100 Jahren ist der 8. März der internationale Frauentag, der dazu einlädt errungene Erfolge auf dem Gebiet der Frauenrechte zu feiern. Die Erfolge gibt es – in Deutschland und weltweit – und die sollten wir auch niemals kleinreden. Aber gleichzeitig ist der internationale Frauentag der Tag, an dem wir auf noch immer bestehende Missstände beim Thema Gleichberechtigung und Gleichstellung aufmerksam machen. Missstände, die auch nach mehr als 100 Jahren Frauentag noch immer vorhanden sind: in Baden-Württemberg, in Deutschland und weltweit. Angesichts aktueller Krisenlagen stellen wir fest: Frauen sind in besonderem Maße von Krisen betroffen, und Frauen brauchen internationale Solidarität. Ich möchte heute drei solche Orte, drei solche Themen ansprechen, an denen Frauen unsere Solidarität brauchen. (Und es nimmt nicht wunder, dass meine Vorrednerinnen darauf auch schon zu sprechen kamen.)

  1. Der Krieg in der Ukraine hat zu einer grauenvollen Epidemie sexualisierter Gewalt gegen Frauen durch die russische Armee geführt. In den besetzten Gebieten und in den aktuellen Kampfgebieten ist die humanitäre Lage verheerend. Unter den 7,6 Millionen ukrainischen Geflüchteten, die seit Februar in ganz Europa registriert wurden, besteht die überwältigende Mehrheit aus Frauen und Kindern. Frauen tragen hier allein die Verantwortung für die Versorgung von Kindern, Älteren und anderen Schutzbefohlenen. Und sie sind gleichzeitig betroffen von Traumata und sind dringend angewiesen auf medizinische und psychologische Unterstützung.
  1. Wenn wir über den globalen Kampf um Frauenrechte sprechen, sollten wir auch über weibliche Genitalverstümmelung reden. Hier erleben wir trotz der Erfolge in den vergangenen Jahren, trotz legislativer Maßnahmen in vielen Ländern, trotz der gestiegenen internationalen Aufmerksamkeit, trotz des Engagements vieler NGOs, dass der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung global ins Stocken zu geraten droht, was zu ca. 2 Millionen zusätzlichen Fälle führt. Denn regelmäßige Besuche bei Ärztinnen und Ärzten sind durch die Corona-Pandemie weggefallen und die Schulen und Freizeitinstitutionen als Kontrollinstanzen ebenso. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Landesregierung eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene fördert.
  1. Seit bald einem halben Jahr demonstrieren im Iran junge Menschen gegen das autoritär-theokratische Regime. Der Auslöser? Der Tod von Jina Mahsa Amini, nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei, weil ihr Kopftuch angeblich nicht richtig saß. Der Slogan der tausenden Demonstrierenden? <Dschin, Dschijan, Asadi> (Jin, Jiyan, Azadî) – Frauen, Leben, Freiheit. Denn inzwischen haben vor allem die jungen Menschen im Iran verstanden, dass sie nur dann frei sein können, wenn die Frauen im Iran frei sein können. Dass das Regime darauf mit Gewalt und Repression antworten muss, um sich zu behaupten, dass jetzt sogar Schülerinnen vergiftet werden, zeigt, wie viel Mut und wie viel Kraft in der feministischen Idee auch heute noch steckt.

Diese drei Orte und Themen zeigen, dass weltweit viele der grundlegenden gleichstellungspolitischen Fragen noch offen sind. Ich bin deshalb froh, dass Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze eine Strategie für eine feministische Entwicklungspolitik vorgelegt hat. Und dass Außenministerin Baerbock von einer feministischen Außenpolitik spricht. Dass es das erklärte Ziel der Bundesregierung ist, Frauen die gleichen Rechte und den gleichen Zugang zu Ressourcen zu garantieren. Dass Deutschland darauf hinwirken will, dass Frauen in politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen weltweit gleichberechtigt vertreten und eingebunden sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Frauen, die von Genitalverstümmelung betroffen sind, Frauen, die vor Krieg geflohen sind, Frauen aus dem Iran, die für ihre Rechte kämpfen, Frauen, die Schutz vor Gewalt suchen: All das gibt es auch bei uns, bei uns in Baden-Württemberg. Unser Land ist für viele ein Hoffnungsort. Aber am internationalen Weltfrauentag müssen wir auch darüber sprechen, wie es um die Gleichstellung in unserem Land bestellt ist.

Und ich beginne gleich mal mit einer großen Forderung: Wir brauchen eine ressortübergreifende Gleichstellungsstrategie für unser Bundesland, damit wir Gleichstellungspolitik endlich als das angehen können, was sie ist: ein Querschnittsthema, das alle Resorts dieser Regierung betrifft. Die mangelnde Kinderbetreuung, Frauen in der Wissenschaft, die Situation in der Pflege, Frauen im Handwerk oder in den MINT-Berufen: all das müsste dringend zusammengedacht werden. Das fordert der Landesfrauenrat. Das steht in Ihrem Koalitionsvertrag. Aber bislang haben wir von all dem noch nichts gesehen. Sie sind blank.

Wir brauchen noch in dieser Legislaturperiode ein neues Chancengleichheitsgesetz! Seit über einem Jahr liegt die Evaluation vor. Sie zeigt, dass das Land großen Nachholbedarf vor allem bei den Befugnissen der Chancengleichheitsbeauftragten hat. An dieser Stelle muss einmal mehr erwähnt werden, dass es kein einziges Bundesland in Deutschland gibt, in dem der Gender Pay Gap so hoch ist wie in Baden-Württemberg. Aber was hören wir von der Landesregierung? Das Chancengleichheitsgesetz wird wohl in dieser Legislatur nicht mehr reformiert. Auch hier: Sie sind blank.

Wir brauchen Schutzkonzepte für vulnerable Gruppen in den Flüchtlingsunterkünften des Landes! Damit diejenigen, die schutzsuchend zu uns kommen, nicht hier Opfer von Gewalt werden! Wir brauchen eine entschiedene und zügige Umsetzung der Istanbul-Konvention, das Land hat große Nachholbedarfe beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Dafür ist entscheidend, dass das Sozialministerium die Evaluation der Uni Stuttgart endlich freigibt, damit wir wissen, wie die Sachlage ist. Sie wissen, es gibt eine kurzfristige Möglichkeit, wie Sie etwas für den Gewaltschutz in Baden-Württemberg tun können: Stimmen Sie heute Nachmittag unserem Gesetzentwurf zur besseren Finanzierung unserer Frauen- und Kinderschutzhäuser zu. Aber ich fürchte einmal mehr: Auch hier sind Sie blank.

Und apropos blank: Dass es das Land Baden-Württemberg nicht fertiggebracht hat, im Bundesrat für die Abschaffung des Informationsverbots für Schwangerschaftsabbrüche zu stimmen, muss als traurige Wahrheit am Weltfrauentag doch auch noch Erwähnung finden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Krisen der Welt verteilen sich nicht gleichmäßig, sie wirken sich nicht gerecht aus. Überproportional treffen sie die Rechte, das Wohl und das Leben von Frauen und Mädchen. Es ist unsere Aufgabe, internationale Solidarität zu zeigen, aber gleichzeitig unsere Verantwortung für die Rechte und den Schutz der Frauen hier im Land wahrzunehmen.

Dankeschön.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik