Ohne Unterricht kann keine gute Bildung stattfinden. Aber gerade an den Schulen in Baden-Württemberg fallen zahlreiche Stunden aus, wird Unterricht nur vertreten oder Klassen werden aufgeteilt. Die an guten Unterricht gesetzten Standards können dadurch nicht eingehalten werden. Das hat negative Folgen für alle Schülerinnen und Schüler. Aber vor allem für diejenigen, die zusätzlichen Unterstützungsbedarf haben und den ausgefallenen Unterricht nicht durch die Teilnahme an Nachhilfeangeboten kompensieren können. Der Unterrichtsausfall in Baden-Württemberg trägt daher massiv zur Bildungsungerechtigkeit bei. Das hat zum einen Folgen für die individuelle Bildungsbiographie: Schülerinnen und Schüler können ihre Potenziale nicht voll ausschöpfen, anstelle von Motivation tritt Frustration. Zum anderen hat es auch Folgen für das Land Baden-Württemberg: Mit Blick auf den riesigen Fachkräftemangel können wir es uns schlicht nicht leisten, Ressourcen und Potenziale so einfach zu verschenken.
Doch die grün-schwarze Landesregierung hat Unterrichtsausfall zum Regelfall gemacht. Der hohe Unterrichtsausfall wird schulartübergreifend, aber insbesondere in der Inklusion an allgemeinbildenden Schulen und an den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren, einfach hingenommen. Für die SPD-Fraktion ist deshalb klar, dass wir vor allem daran arbeiten müssen, die Unterrichtsversorgung in Baden-Württemberg wieder zu stärken: Kein Unterricht fällt mehr aus und der Unterricht wird von dafür ausgebildeten Lehrkräften gehalten. Dafür fordern wir eine Unterrichtsgarantie, die an eine Qualitätsgarantie gekoppelt ist. Weil alle Kinder und Jugendlichen ein Recht auf gute Bildung haben. Weil sie ein Recht darauf haben, mit ihren Stärken und Schwächen den für sie bestmöglichen Lebensweg zu gehen. Und weil der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg gut ausgebildete und motivierte Menschen braucht, um auch in Zukunft an der Spitze zu stehen.
Unsere Forderungen für eine Unterrichtsgarantie:
- Multiprofessionelle Teams an allen Schulen
- Lehrkräfte von Sonderaufgaben entlasten
- Ausbau der Krankheitsvertretungsreserve
- Schulorganisation durch Schulteams
- Einführung eines flexiblen Vorgriffstundenmodells
- Modell der Altersermäßigung erweitern
- Ausbau der Unterstützungsmaßnahmen und Vorsorgeangebote für (angehende) Lehrkräfte
- Masterplan Studienplätze auflegen
- Sofortige Maßnahmen für mehr Unterricht
1.1 Multiprofessionelle Teams an allen Schulen
Wir fordern multiprofessionelle Teams an allen Schulen. Infolge einer heterogeneren Schülerschaft und neuen pädagogischen Aufgaben und Unterrichtsinhalten sehen sich Lehrkräfte einem immer umfassenderen Aufgabenkatalog gegenüber. Um auf die vielfältigen und individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler einzugehen, ist der Ausbau der Schulsozialarbeit und weiterer professioneller Unterstützungsangebote an den Schulen, beispielsweise durch pädagogische Assistentinnen und Assistenten, Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, den Bundesfreiwilligendienst, Teilnehmende des Freiwilligen Sozialen Jahrs sowie Schulpsychologinnen und Schulpsychologen oder Logopädinnen und Logopäden, erforderlich. Damit die Arbeit für solche Unterstützungskräfte attraktiv ist muss ihnen eine langfristige Perspektive geboten werden.
Angesichts vielschichtiger Herausforderungen an den Schulen und unterschiedlicher Unterstützungsbedarfe der Schülerinnen und Schüler müssen Lehrerkollegien mittelfristig erweitert und der Aufbau multiprofessioneller Teams an allen Schularten gefördert werden. Multiprofessionelle Teams bieten sowohl während der Unterrichtsstunde als auch außerhalb des Unterrichts eine wichtige Unterstützungsmaßnahme für die Schülerinnen und Schüler wie auch für die Lehrkräfte. Zur gelingenden Unterstützung durch multiprofessionelle Teams braucht es jedoch zusätzliche Zeit zur professionellen Zusammenarbeit zwischen Lehrkraft und weiterem pädagogischen Fachpersonal. Multiprofessionelle Teams sind keine Selbstläufer, sondern nur gewinnbringend, wenn sie durch regelmäßige Rückkopplung und Zusammenarbeit mit der Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler in ihrem Schulalltag begleiten. Die Unterstützung durch weiteres Fachpersonal trägt dem Ansatz Rechnung, dass Schule nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch des sozialen Miteinanders ist. Auch dabei gilt: Die Kernaufgabe der Lehrkräfte ist das Unterrichten. Nur wenn Unterricht stattfindet, kann es auch gute Bildung geben.
1.2 Lehrkräfte von Sonderaufgaben entlasten
Lehrkräfte sind heute mit verschiedensten Tätigkeiten außerhalb ihres eigentlichen Kerngeschäfts, dem Unterrichten, beschäftigt. Deswegen fordern wir, das Modell der Anrechnungsstunden zu überarbeiten. Anrechnungsstunden sind ein wichtiges und notwendiges Instrument zur Entlastung der Lehrkräfte an den Schulen. Klar ist: Viele Anrechnungsstunden sind vollkommen begründet und nachvollziehbar. Aber dennoch müssen wir in diesem Zusammenhang auch darüber nachdenken, welche Aufgaben nicht von Lehrkräften ausgeübt werden müssen, sondern von anderen Kräften übernommen werden können. Vor allem der Zeitaufwand für die Pflege der Schul-IT steigt jährlich an. Wenn zukünftig der Unterricht digitaler wird, werden auch die Anforderungen an digitale Rahmenbedingungen steigen. Dass derzeit zahlreiche digital affine Lehrkräfte die Schul-IT betreuen, ist nicht mehr zeitgemäß. Eine parlamentarische Initiative der SPD-Landtagsfraktion hat aufgezeigt, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Anrechnungsstunden zur Betreuung der IT aufgewendet wurden. Laut der Schulstatistik 2021/2022 werden rund 14.201 Lehrerwochenstunden für die Systembetreuung, also unter anderem der Betreuung von Computern, aufgewendet. Wertvolle Zeit, welche die Lehrkräfte besser im Unterricht verbringen sollten. Daher fordern wir für jede Schule eine zuständige IT-Fachkraft, die sich professionell und ohne Zusatzbelastung für die Lehrkräfte um die IT der Schulen kümmert. Wo diese Stelle angesiedelt sein wird, ob an der Schule selbst oder bei der Kommune, wird von den Gegebenheiten vor Ort abhängen.
Durch eine umfängliche Analyse des Anrechnungsstundenmodells wollen wir Lehrerdeputate gewinnen, damit sich die Lehrkräfte wieder stärker auf die Kernaufgabe des Unterrichtens konzentrieren können und dem Unterrichtsausfall entschieden entgegenwirkt werden kann. Alles, was nicht zwingend von Lehrkräften erledigt werden muss, soll von Fachkräften mit entsprechender Fachkompetenz übernommen werden.
1.3 Ausbau der Krankheitsvertretungsreserve
Kurzfristig wollen wir die Krankheitsvertretungsreserve auf 2.500 Deputate aufstocken, später nach Bedarf noch weiter ausbauen. Durch die Krankheitsvertretungsreserve wird der Ausfall von Lehrkräften während des Schuljahrs kompensiert, sodass sie in erheblichem Maße zur Unterrichtsgarantie beiträgt. Tatsache derzeit ist, dass die Krankheitsvertretungsreserve schon zu Beginn des Schuljahres fast aufgebraucht ist. Ausfälle während des Schuljahres können dadurch immer weniger aufgefangen werden und Unterricht fällt aus. Es ist daher unabdingbar, die Krankheitsvertretungsreserve den Bedarfen entsprechend auszubauen, damit kurzfristige sowie langfristige Ausfälle von Lehrkräften schnell und verlässlich aufgefangen werden können. Die Krankheitsvertretungsreserve soll schulartübergreifend und auch für Vorbereitungsklassen sowie im sonderpädagogischen Bereich an allgemeinbildenden Schulen zur Verfügung stehen.
1.4 Schulorganisation durch Schulteams
Für das Gelingen des Schulalltags sind zahlreiche Personen verantwortlich. Neben dem Lehrkräftekörper tragen beispielsweise auch die Schulsekretariate, die Schulsozialarbeit, der schulpsychologische Dienst oder pädagogische Assistentinnen und Assistenten dazu bei, die Schülerinnen und Schüler bestmöglich in ihrer Entwicklung zu begleiten. Diese Unterstützungsangebote müssen wir weiter ausbauen. Die Schule der Zukunft soll sich durch Schulteams verschiedener Fachrichtungen auszeichnen.
Wie bei der Überprüfung des Modells der Anrechnungsstunden ist es wichtig, Aufgaben, die nicht von Lehrkräften wahrgenommen werden müssen, an andere Fachkräfte zu übergeben. Das bedeutet, unsere Schulen für weitere Fachkräfte zu öffnen. Die Berufsberatung müssen nicht Lehrkräfte übernehmen, sondern sie kann von anderen dafür geeigneten Fachkräften übernommen werden. In diesem Sinne müssen wir auch die Berufseinstiegsbegleitung weiterführen und ausbauen. Verwaltungsaufgaben können an Schulverwaltungsassistenzen übergeben werden. So gewinnen wir Zeit von Schulleitungen zurück, die dann den Lehrkräften wieder als Unterrichtsstunden zur Verfügung stehen. Den seit über 15 Jahren laufende Modellversuch „Schulverwaltungsassistenz“ müssen wir deshalb endlich flächendeckend ausweiten.
Für die Schulorganisation in Schulteams fordern wir zusätzlich ein Budget, unabhängig von bereits bestehenden Regelungen zur Monetarisierung, für die Einstellung externer Kräfte in Höhe von € 25.000 pro Schule und Jahr, über welches die Schulleitung frei entscheiden kann.
Zusätzlich muss mit der Weiterentwicklung des Personalkörpers von Schulen hin zu Schulteams mit Fachkräften über eine Weiterentwicklung der strukturellen Finanzierung des Personalkörpers gesprochen werden. Lehrkräfte sollen sich wieder auf den Kern ihrer Aufgabe, das Unterrichten, konzentrieren. Die anderen Aufgaben, die für den Schulalltag und auch die Bildung der Schülerinnen und Schüler wichtig sind, sollen von Fachkräften übernommen werden. An deren Finanzierung muss sich das Land entsprechend beteiligen und mit den Kommunen eine Einigung erzielen.
- Mittelfristig Lehrkräfte gewinnen und halten
2.1 Einführung eines flexiblen Vorgriffstundenmodells
Verschiedene Lebensphasen sind oftmals mit dem Bedürfnis nach unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen verbunden. Während es Phasen gibt, in denen eine Erhöhung der Arbeitszeit als sinnvoll und machbar erachtet wird, gibt es auch Phasen, in denen eine Verringerung der Arbeitszeit weitere Gestaltungsspielräume für das Privatleben öffnet. Mit der Weiterentwicklung des Vorgriffstundenmodells hin zu mehr Flexibilität wollen wir die Unterrichtsversorgung weiter stärken. Lehrkräfte sollen auf Wunsch ihr Deputat aufstocken können und die zusätzlich erarbeiteten Stunden später abbauen können. Mit einem zusätzlichen Zeitzuschlag für jede geleistete Extra-Stunde sollen zudem Anreize geschaffen werden für diejenigen Lehrkräfte, die sich eine Erhöhung des Deputats vorstellen können. Eine Erhöhung des Deputats soll maximal um zwei Stunden möglich sein und gilt nur für Vollzeitdeputate. Die Zeitspanne des Aufbaus soll flexibel gestaltet sein. Ein Abbau der Stunden kann erst fünf Jahre nach dem Eintritt in den Schuldienst erfolgen. Die Abbauzeit ist ebenfalls flexibel gestaltbar, sodass Stunden auch kumuliert ‚zurückgegeben‘ werden können.
2.2 Modell der Altersermäßigung erweitern
Immer mehr Lehrkräfte treten immer früher aus dem Schuldienst aus (siehe Drucksache 17/5683). Damit diese Lehrkräfte länger dabeibleiben, braucht es flexiblere Arbeitszeitmodelle im Alter. Über eine Erhöhung und Flexibilisierung der Altersermäßigung müssen wir deshalb genauso diskutieren wie über Entlastungen für ältere Lehrkräfte durch eine erhöhte Unterrichtszeit in Kleingruppen statt vor ganzen Klassen. Lehrkräfte, die aufgrund der hohen Belastung des Unterrichtens ganzer Klassen über die Reduzierung ihres Deputats nachdenken, könnten durch eine solche Aufgabenumverteilung länger im Schuldienst gehalten werden. Statt ganzer Klassen unterrichten sie, zumindest zu einem bestimmten Teil ihrer Unterrichtsverpflichtung, Kleingruppen mit individuellen Förderbedarfen. Dadurch kann die Arbeitsbelastung verringert werden. Ziel muss sein, denjenigen Lehrkräften, die im Schuldienst so lange wie möglich bleiben möchten, attraktive Angebote zu machen, damit auch durch sie die Unterrichtsversorgung im Land sichergestellt wird.
2.3 Ausbau der Unterstützungsmaßnahmen und Vorsorgeangebote für (angehende) Lehrkräfte
Es ist völlig verständlich, dass sowohl während des Studiums oder der Ausbildung als auch später im Berufsleben verschiedene Karriereoptionen oder Lebensentwürfe in Betracht gezogen werden. Es ist deshalb umso wichtiger, dass das Land als Arbeitgeber alles unternimmt, um angehende Lehrkräfte in ihrer Berufsentscheidung zu stärken und Lehrkräfte, die bereits im Beruf sind, zu unterstützen. Wir fordern deshalb, dass Gründe für den Abbruch im Lehramtsstudium sowie im Referendariat umfangreich evaluiert werden. Dazu gehört beispielsweise zu ermitteln, ob Referendarinnen und Referendare Stellen nicht antreten, weil sie zu weit von ihrem Lebensmittelpunkt entfernt liegen und zu prüfen, ob es zusätzlicher Anreize bedarf. Zudem braucht es mehr Coaching- und Beratungsangebote, die Studierende nutzen können, wenn sie Zweifel haben, ob die Arbeit als Lehrkraft das Richtige für sie ist. Mit einem Netzwerk an Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern aus erfahrenen Lehrkräften soll die Verzahnung zwischen Studium und Praxis weiter gestärkt werden.
Ohne Zweifel ist der Beruf als Lehrkraft von hohen Ansprüchen und vielen Anforderungen geprägt. Die Arbeitsbelastung ist hoch und mit vielen Veränderungen verbunden. Deshalb ist es unerlässlich, Lehrkräfte, unabhängig davon, wie lange sie bereits im Beruf arbeiten, durch umfangreiche und flächendeckende Unterstützungsangebote zu stärken. Angebote in Form von Coaching und Gesundheitsvorsorge sollten daher ausgebaut und perspektivisch eine verpflichtende Teilnahme geprüft werden. In diesem Sinne ist es auch notwendig, das Netz aus Schulpsychologinnen und Schulpsychologen weiter auszubauen. Schulpsychologinnen und Schulpsychologen sind nicht nur für die Schülerinnen und Schüler, sondern auch für die Lehrkräfte da. Dementsprechend ist es fragwürdig, ob die derzeit vorhandenen 194 Stellen für diese Aufgabe ausreichend sind. Nur mit einem besseren Gesundheitsmanagement und einem Vorsorgemodell, das Warnzeichen der Belastung und Überlastung frühzeitig erkennt, können Lehrkräfte gestärkt werden und bleiben dem Schulsystem dauerhaft erhalten.
2.4 Masterplan Studienplätze auflegen
Durch zahlreiche Studien ist belegt, dass der Bedarf an Lehrkräften auch in Zukunft weiter steigen wird. Unbestritten ist auch, dass Baden-Württemberg den Bedarf an Lehrkräften mit den derzeitigen Studienplatzkapazitäten nicht decken kann. Daher müssen wir jetzt das Angebot an Studienplätzen bedarfsgerecht ausbauen – für alle Schularten und unter Berücksichtigung von Aufgaben wie dem Ausbau des Ganztags und dem Ziel zur Stärkung der inklusiven Beschulung. Das Land muss jetzt damit beginnen, Raumkapazitäten zu erweitern und zusätzliches Lehrpersonal zu gewinnen. Wir müssen raus kommen aus der permanenten Flickschusterei. Es braucht endlich einen Masterplan zur perspektivischen Schließung der Fachkräftelücke. Dazu gehört auch, die Qualitätsstandards für den Quereinstieg zu modernisieren und zu standardisieren.
- Januar 2024
Dr. Stefan Fulst-Blei, Bildungspolitischer Sprecher
Katrin Steinhülb-Joos, Schulpolitische Sprecherin
Lisa Rößner, Parlamentarische Beraterin für Kultus, Jugend und Sport
Arbeitskreis Bildung der SPD-Landtagsfraktion von Baden-Württemberg