Ich bin weder parteilos noch unparteiisch, und womöglich sehe ich viele Dinge durch die SPD-Brille. Aber ist schon mal jemandem aufgefallen, wie inkonsequent die öffentliche Meinung sein kann? In Brandenburg hat sich die SPD als stärkste Kraft behauptet – und sofort sind sich alle einig, dass das ein rein landespolitisches Phänomen ist, das hängt an Dietmar Woidke, an Wechselwählern, wie es sie so nur in Brandenburg gibt. Mit dem Bund hat das wenig bis gar nichts zu tun, heißt es.

Wisst Ihr was? Das stimmt auch. Eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl und eine Bundestagswahl eine Bundestagswahl. Aber noch in der vergangenen Woche las ich Schlagzeilen konservativerer Zeitungen, in denen gefragt wurde, ob der Bundeskanzler „die Brandenburg-Wahl überlebt“. Und ganz sicher: Hätte die SPD dort ein ähnliches Debakel erlebt wie in Thüringen oder Sachsen, hätten jetzt alle darüber geredet, welche Auswirkungen das in Berlin haben muss.

Unsere Demokratie sieht regelmäßige Wahlen vor, aber eben nicht jeden Monat, damit man zwischen dem Wahlkämpfen auch mal zum Regieren kommt. Da vergehen Jahre, und so langes Warten sind viele nicht mehr gewöhnt, es kommt ja auch jede Woche ein Tatort und im Netz kann ich ganze Serien in einem Wochenende herunterschauen. Also gehen viele dazu über, einfach jede Wahl für jede politische Ebene zu interpretieren, und die Medien liefern noch ständige Meinungsbilder und Sonntagsfragen, und auch auf die soll die Politik bitte so reagieren, als sei einmal im Monat Bundestagswahl.

Das liefert Nachrichten, ich weiß, und das ist auch nicht verboten. Aber ich fürchte, es gibt Leute, die die unterschiedliche Bedeutung unterschiedlicher Wahlen nicht mehr begreifen, weil von TikTok bis ZDF immer alles miteinander verrührt wird. Die wählen dann bei den Kommunalwahlen für eine devotere Russland-Politik, bei den Landtagswahlen gegen den Euro und überhaupt votet man jedes Mal für oder gegen den Bundeskanzler. Und wir wissen: Auch wegen dieser Verwirrung haben Populisten mit völlig unsinnigen Parolen Erfolg. Sie plakatieren den Euro oder die Ukraine bei Landtagswahlen, den EU-Austritt bei der Kommunalwahl.

Dass die SPD in Brandenburg die stärkste Kraft ist, hat ganz entscheidend mit Dietmar Woidke zu tun. Politik funktioniert immer mit Personen, mit Gesichtern. Übernächstes Jahr ist in Baden-Württemberg Landtagswahl, mit vielen neuen Gesichtern und mit Karten, die ganz neu gemischt werden. Bei dieser Wahl wird in diesem Land entschieden, nicht bei Umfragen aus dem Sommer 2024. Und es wird bei uns entschieden. Nicht in Sachsen und auch nicht Brandenburg. Leider. 30 Prozent für die SPD sehen nicht nur durch meine Parteibrille gut aus.