Ich freue mich, wenn mit der britischen Labour Party Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in einem europäischen Land wie Großbritannien gewinnen. Ja, in einem europäischen Land, denn auch ohne EU-Mitgliedschaft gehört Großbritannien nicht zu Südamerika. Wie gesagt, ich freue mich.

Aber mir wird auch mulmig. 14 Jahre ist es her, dass die Konservativen in Großbritannien das Ruder in die Hand nahmen und einen neuen, bizarren Kurs steuerten: Raus aus der Zukunft, raus sogar aus dem heute – eine Zeitreise in eine angeblich bessere Vergangenheit.

Die Effekte kennen wir: Bis heute stehen Menschen in Großbritannien immer wieder vor leeren Supermarktregalen, mal fehlen Eier, mal fehlen Spaghetti. Denn mal klappt es mit dem Zoll nicht und mal fehlen all die Arbeitskräfte und Lkw-Fahrer aus Rumänien und Polen, gegen die rechte Schreihälse so lange Stimmung gemacht hatten. Für die Upper Class galten und gelten plötzlich wieder eigene Regeln, das sah man in der Pandemie, als Premierminister Boris Johnson Partys feierte, während er dem Fußvolk den Lockdown befahl. Aus dem Wirtschaftsboom ohne EU wurde auch nichts, stattdessen hat allein der Finanzplatz London zigtausende Top-Jobs verloren. Die legale Migration ging deutlich runter, die illegale Migration kein bisschen – und die zeitreisenden Tories griffen zuletzt sogar in den Eiskeller des Kolonialismus: Geflüchtete nach Ruanda abschieben, wie einst Sträflinge nach Australien… Au weia.

Mit den Ruanda-Plänen hat der neue Premierminister Keir Starmer schon nach wenigen Stunden im Amt kurzen Prozess gemacht, aber der Mann steht vor einem ganzen Berg an Müll, den die Tories angehäuft haben. Den soll er wegräumen, dafür haben ihn die Menschen mit einer Mehrheit ausgestattet, wie sie kaum ein britischer Politiker je hinter sich hatte. Die Briten, schreibt eine englische Zeitung, seien vom Konservatismus und Populismus gründlich kuriert.

So weit sind die Leute bei uns noch lange nicht. Und genau deswegen wird mir mulmig. Raus aus der EU, Migranten in die Wüste, zurück zu Atomkraft, Diesel und D-Mark – für all dieses Gefasel bekommt man bei uns noch Beifall. Und Stimmen.

In Großbritannien hat es 14 Jahre gedauert, bis die Menschen endgültig die Nase voll hatten von Populismus und Lügen (über den Brexit zum Beispiel), von einem verbohrten Kurs zurück in eine Vergangenheit, die so eben nicht mehr funktioniert. 14 Jahre hat es gedauert.

Ich fürchte, unser Land hat keine 14 Jahre Zeit, um sich für Anschauungszwecke von Populisten herunterwirtschaften zu lassen. Dass hinter all den schlichten und einfachen Parolen gegen die EU, gegen Migration und europäische Einigung schlicht und einfach Blödsinn steht, sollten alle schneller begreifen. Dafür lohnt es sich zu streiten.

Ansprechpartner

Nicolas Fink
Stellvertretender Fraktionsvorsitzender

Max Yilmazel
Berater für Finanzpolitik, Europa und Internationales