Große Ziele hat das grüne Verkehrsministerium bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken im Land ausgegeben. Doch knapp drei Jahre nach den Schlagzeilen kann die aktuelle Landesregierung auf eine Anfrage von Hans-Peter Storz, dem Verkehrsexperten der SPD-Landesregierung, außer einigen grundlegenden Bestandsaufnahmen keine Fortschritte vermelden. Storz spricht von einem „gelangweilten Desinteresse“ der Landesregierung: Grün-Schwarz hoffe wieder einmal darauf, dass andere Ebenen die Arbeit übernehmen werden.
Vor knapp drei Jahren hatte eine Potenzial-Studie des Landes zu stillgelegten Bahnstrecken vielen Regionen im Land Hoffnung auf neue Bahnverbindungen gemacht. Aber wie weit sind die Planungen seither gediehen? Die Antworten der Landesregierung auf einen Berichtsantrag fallen ernüchternd aus. Für insgesamt 18 derzeit stillgelegte Strecken gab das Land einst 1,8 Millionen Euro Zuschüsse für Machbarkeitsstudien. Die Ergebnisse liegen meist schon länger vor und fielen bei vielen Strecken positiv aus. Nur ein Beispiel von vielen ist die Ablachtal-Bahn („Biber-Bahn) von Stockach nach Messkirch, beider alle Studien auch ein positives Kosten-Nutzen-Verhältnis ausweisen.
Doch weitere Schritte sind weder erfolgt noch in absehbarer Zeit geplant, denn über die Prüfungen hinaus kann das Ministerium offensichtlich keine Strategie vorweisen. Stattdessen scheint es, als warte das Land darauf, dass Akteure vor Ort die Reaktivierung angehen, um die sich doch das Land kümmern wollte.
Für Hans-Peter Storz ein massives Problem: „Es reicht doch nicht aus, dass die Landesregierung jetzt das sehr große lokale und kommunalpolitische Engagement für die Streckenreaktivierungen lobt – wer Bahnstrecken reaktivieren will, muss schon selbst was aufs Gleis bekommen .“ Im Moment habe das Verkehrsministerium nicht einmal einen Gesamtüberblick über die Ergebnisse, die die mit Landesmitteln finanzierten Studien überhaupt erbracht hätten. Stattdessen lassen die Antworten der Regierung für Storz den Versuch erkennen, die Verantwortung für das weitere Vorgehen den Anliegern der jeweiligen Strecken zuzuschieben, also den Landkreisen, Städten und Gemeinden. Für Storz ein Unding: „Erst klopft sich die Landesregierung für die Reaktivierung auf die Schulter, und dann sollen Rathäuser und Landratsämter die Arbeit machen?“
Und das Land lehnt sich laut Storz nicht nur zurück, wenn es um Planung und Genehmigung geht. Auch bei der weiteren Finanzierung täten sich schon heute Lücken auf. Zwar gebe es für die Bahn-Reaktivierungen aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz des Bundes erhebliche Zuschüsse – 90 Prozent der „förderfähigen Kosten“ werden aus der Kasse des Bundesfinanzministeriums fließen. Und vom nicht durch den Bundeszuschuss abgedeckten Betrag werde auch das Land einen Teil übernehmen.
Doch die tatsächlichen Kosten seien bei diesen Projekten erheblich höher, als es nach den Zuschussrichtlinien berücksichtigt werden können. Beim Beispiel der Biber-Bahn kommen laut Storz auf die Anrainerkommunen in den Landkreisen Konstanz und den Landkreis Sigmaringen Eigenbeträge in Millionenhöhe zu.
„Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass dies die Kommunen überfordern wird,“ sagt Storz. Beim Landkreis Konstanz falle noch der kommunale Anteil beim Ausbau der Bodensee-Gürtelbahn an, der bis zu 50 Millionen Euro betragen könnte. „Gürtelbahn, Biber-Bahn und Etzwiler Bahn zusammen: Das wird unser Kreis nicht schaffen,“ bedauert Storz die Perspektiven. „Das Land hat mit Potential- und Machbarkeitsstudien Hoffnungen bei den Kommunen geweckt, die jetzt enttäuscht werden. Das ist das Gegenteil von verlässlicher, nachhaltiger Verkehrspolitik.“
Storz‘ Fazit: „Wir bekommen vor 2030 nur dann eine neue Bahnlinie im Landkreis, wenn das Land bereit ist, diese Investitionen wirksam zu unterstützen. Dafür müssen in Stuttgart jetzt die Weichen gestellt werden,“ fordert Storz von der Landesregierung. Ohne zusätzliche Landesmittel werde das Ziel der Regierung, die Zahl der Fahrgäste in Bussen und Bahnen bis 2030 zu verdoppeln, zur „viel zu oft wiederholten Wählertäuschung“.
Dr. Hendrik Rupp
Pressestelle