Im #stochblog schreibt unser Fraktionschef Andreas Stoch über Themen, die ihn derzeit umtreiben – heute geht´s um ein paar Klarstellungen im Herbst.
Es ist zu lange her, dass ich etwas in diesem Blog geschrieben habe. Aber das hat natürlich seine Gründe. Erstens gebe ich offen zu, dass ich hier nicht nur zu meinem Vergnügen schreibe, sondern für Euch. Und Freundinnen und Freunde, die sich mit Google Analytics viel besser auskennen als ich, klicken sich durch die Statistiken und sagen: „In den Sommerferien gehen die Seitenbesuche komplett in den Keller. Blogbeiträge brauchst Du in der Zeit gar nicht erst schreiben.“ Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen: Ich bin sofort in den Urlaub gefahren.
Der wichtigere (und ernstere) Grund: Es gäbe genug über Landespolitik zu sagen in diesem Spätsommer, über den Fall Strobl und über den merkwürdigen grün-schwarzen Tanz um den neuen Doppelhaushalt. Über den Spalt zwischen Winfried Kretschmann und seiner eigenen Partei, der immer tiefer und breiter zu werden scheint. Über den schlechtesten Start, den ein Schuljahr in diesem Land seit Langem hatte, mit einem Rekordmangel an Lehrkräften und einem Berg an unerledigten Hausaufgaben der Regierung. Und, und, und…
Aber ich bin auch in diesem Sommer wieder viel im Land unterwegs gewesen, habe mich mit vielen, vielen Leuten unterhalten. Und ich merke eins: So wichtig Landespolitik ist, für mich, für uns alle, so sehr drückt den meisten von uns der Schuh ganz woanders zurzeit. Darüber will ich heute schreiben.
Ich bin kein Außenpolitiker und schon gar kein Verteidigungsfachmann, kein Experte für Osteuropa oder die Energieversorgung. Das ist mir bewusst. Aber immer öfter habe ich den Eindruck, dass anderen dieses Bewusstsein fehlt. Denn es werden und wurden so viele abenteuerliche Thesen aufgestellt, dass einem schwindlig werden kann. Ist Irren herbstlich? Ich versuche ein paar Klarstellungen, mindestens darüber, wo ich stehe.
Fangen wir ganz grundsätzlich an: Ja, vielleicht hätte „der Westen“ in der Vergangenheit geschickter, vorausschauender mit Russland umgehen können. Vielleicht hat man übersehen, dass die russische Politik sich herabgesetzt oder in die Enge gedrängt fühlte. Kann sein, kann nicht sein, kann man nicht ausschließen. Aber bitte lasst nicht zu, solche Einwände auch nur aussehen zu lassen wie Entschuldigungen für den Krieg gegen die Ukraine! Selbst wenn es wahr wäre, dass sich Russland von irgendwas auf den Fuß getreten fühlte, so rechtfertigt das niemals diesen Bruch des Völkerrechts, diesen grausamen und verbrecherischen Krieg. Und denkt bitte auch dran, wie schwach die Lügen des russischen Präsidenten sind. Die Sowjetunion wurde nicht besiegt, sondern sie zerfiel einfach von alleine. Die gierigen Oligarchen wanderten nicht aus dem Westen ein. Und wenn Russland sich bedroht fühlen würde, was hätte die Attacke auf die Ukraine dann gebracht? Neue Nato-Mitglieder. Eine klare Front gegen Russland. Eine Ukraine, die sich auf Generationen nach dem Krieg nicht mehr auf russische Angebote einlassen wird. Nachbarländer, die aufrüsten. Wirtschaftliche Isolation. Russlands Präsident schadet seinem Land. Immens.
Russland liefert uns schon jetzt fast kein Erdgas mehr. Die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz hat echte Kraftakte geleistet, und schon jetzt ist die Versorgung zu erheblichen Teilen aus anderen Quellen gesichert. Putin ist gar nicht mehr in der Lage, uns „das Gas abzudrehen“. Klar ist aber auch: Russisches Gas wurde über viele Jahre zu extrem niedrigen Preisen angeboten, an die wir uns alle gewöhnt hatten. Wir werden anderes Gas bekommen, aber zu einem weit höheren Preis.
Die Mechanismen des Marktes bedeuten, dass Energiekosten sogar ganz ohne zwingenden Grund extrem steigen können. Sprit ist sehr teurer geworden, obwohl russisches Öl für unsere Tankstellen kaum eine Bedeutung hat. Und allein die Aussicht darauf, dass die Verstromung von Gas entweder ausfallen oder sich enorm verteuern könnte, treibt die Strompreise in die Höhe. Auch hier ohne direkte Gründe, denn Strom hat uns Russland gar nicht geliefert.
Wir werden durch diesen Winter kommen, wahrscheinlich weit besser, als es viele befürchten. Aber es wird deutlich teurer werden, Licht und Wärme in die eigenen vier Wände zu bekommen. Bis heute verstehen das viele nicht. Ministerpräsident Kretschmann wird für seine albernen Energiespartipps ausgelacht, dabei offenbart er damit ein Unverständnis, das gar nicht witzig ist: Die extremen Kosten werden die Menschen ganz automatisch zum Energiesparen bringen, und dann fällt einem der Deckel auf dem Kochtopf schon von alleine ein. Das Problem ist: Was, wenn man die Energiekosten dennoch nicht bezahlen kann? Offenbar kein Thema grüner Besserverdienender, aber gerade hier in Baden-Württemberg ein Riesenproblem: Man muss gar nicht mal ganz wenig verdienen, um mit den absurd hohen Mieten in unseren Städten an den Rand des Möglichen zu kommen. Dann noch ein paar hundert Euro mehr für die „zweite Miete“ und die Energie, und schon steht man blank da. Die Bundesregierung weiß das und schnürt milliardenschwere Entlastungspakete. Kennt jemand auch nur irgendeinen Ansatz der baden-württembergischen Landesregierung, mitzuhelfen? Eigene Hilfsprogramme zu fahren? Ein wenig der milliardenschweren Reserven für Krisen in die Hand zu nehmen? Jetzt, in dieser Krise? Nein, der Ministerpräsident erklärt uns nur, dass der Deckel auf den Topf passt und kommt mit waschläppischen Ratschlägen um die Ecke. Ich fürchte, er hat da etwas falsch verstanden.
Noch ein Missverständnis geht um, wenn es um die Atomkraftwerke geht. Ich will jetzt nicht damit anfangen, dass die nur noch einen recht mickrigen Anteil an unserer Stromversorgung haben. Ich will auch nicht damit anfangen, dass es eine hochriskante und extrem teure Technik bleibt. Ich will nicht damit anfangen, dass wir bis heute nicht wissen, wie wir all den auf Jahrtausende strahlenden Müll jemals wieder loswerden sollen. Nein, tun wir einen Moment so, als sei Atomkraft ganz und gar unumstritten und problemlos. Selbst dann würden uns die restlichen Meiler nicht wirklich helfen. Erstens fehlt uns in erster Linie nicht Strom, es mangelt uns an Gas und Wärme. Und zweitens brauchen wir konventionelle Kraftwerke heute ja vor allem, um kurze Flauten bei den Erneuerbaren auszugleichen. Keine Sonne im Süden, kein Wind im Osten und eine Sturmwarnung an der Nordsee, wegen der man die Windparks bremsen muss? Dann braucht es schnell mal ein paar Stunden Strom aus anderen Kraftwerken. Aber so kann man Atomkraftwerke gar nicht einsetzen. Ein Reaktor braucht locker eine Woche, bis er hochgefahren ist. Und man kann ihn nicht monatelang „auf Sparflamme“ laufen lassen. Ein Atomkraftwerk will von Haus aus richtig laufen. Oder gar nicht. Deswegen redet die Bundesregierung über Öl- und sogar Kohlekraftwerke. Deswegen hört man den Ruf nach Atomkraftwerken nicht aus der Energiewirtschaft, sondern nur aus Kreisen der CDU und der FDP. Deswegen beantworten Atomkraftwerke eine Frage, die in unserem Land niemand gestellt hat. Und sollte es jetzt Notfallpläne dafür geben, die Meiler doch noch länger in Betrieb halten zu können, dann zu Gunsten der Stabilität der europäischen Netze und besonders für unsere Nachbarn in Frankreich. Die setzen bekanntlich seit Jahrzehnten ganz auf Atomkraft. Und sie haben aktuell noch viel größere Probleme in der Energieversorgung als wir. Auch das darf man sich merken.
Irren ist herbstlich? Das gilt auch in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich bin überrascht, wie viele Menschen in unserem Land komplett ausblenden können, dass wir nicht alleine sind auf der Welt. Da wird dann gefragt, warum Deutschland nicht mehr Waffen liefert, warum es überhaupt Waffen liefert, warum man nicht gleich Soldaten schickt, warum man nicht einfach mit Russland… Wir leben seit Generationen in einer Welt mit den UN, der EU, der Nato, diverse Wirtschaftsverbünden. Scheinen nur viele nicht verstanden zu haben. Sanktionen gegen Russland haben so gut wie alle Staaten verhängt, mit denen Deutschland gute Partnerschaften unterhält, von Kanada bis Australien und von Japan bis Island. Und es ist ein weit über die Nato hinausgehendes Bündnis an Staaten, das die humanitären, wirtschaftlichen und militärischen Hilfen für die Ukraine untereinander bespricht und abstimmt. Dabei sind keine Alleingänge gefragt. Soll heißen: Was Deutschland in die Ukraine liefert, was sinnvoll und effizient ist, das wird nicht nach Lust und Laune vor dem Frühstück bestimmt. Nicht vom Bundeskanzler. Und schon gar nicht von der CDU.
Auf ein letztes Missverständnis hoffe ich sogar. Und es ist das Missverständnis, dass Menschen gar nichts lernen können. Man könnte ja daran zweifeln in diesem Herbst: Wieder wird gehamstert, auf dem Land werden Brennholz und Motorsägen knapp, in den Städten gibt es keine elektrischen Heizkörper mehr zu kaufen. Und wieder wird der Weltuntergang aus der Ecke propagiert, die ihn immer propagiert, weil sie Brüche in der Gesellschaft zum Überleben braucht. Rechte Spinner und radikale Strategen. Erst ging die Welt wegen der Geflüchteten unter, dann wegen Corona, dann wegen den Impfungen, nun wegen des Kriegs in der Ukraine. Und wieder ist das Geschrei so laut, dass man das Echo bis in seriöse Medien hören kann. Panikmache gibt es willentlich und unwillentlich.
Ich hoffe, viel mehr von uns begreifen, welche Mechanismen hinter der Angstmache stecken, als man es derzeit glaubt. Ich hoffe, sie erinnern sich an das Klopapier-Hamstern, an die damalige Panikmache. Ich hoffe sie erinnern sich noch an all das Gerade über geheime Pläne und den Umsturz der Welt und wie all der Blödsinn sich wieder und wieder in Luft auflöste. Und ich hoffe, sie erinnern sich daran, wie wir die Pandemie bisher sehr gut gemeistert haben. Mit Vorsicht und einigen Einschränkungen. Und mit einem Staat, der geholfen hat, wo Hilfe nötig war. Mit Solidarität und Zusammenhalt. In einem Land, in dem einige immer sehr, sehr laut schreien, weil das ihr gutes Recht ist. In einem Land, in dem die allermeisten von uns aber ganz vernünftig bleiben. Auch in einer Krise und gerade in einer Krise.
Schreibt mir gerne in die Kommentare, was Ihr denkt. Und beim nächsten Mal gibt es wieder Landesthemen. Bis bald!
Euer Andreas Stoch