1. Gesundheitsversorgung älterer Menschen im Zeitalter des demografischen Wandels

Die demografische Entwicklung in Baden-Württemberg zeigt deutlich, dass die steigende Zahl hochaltriger Menschen einen erheblichen Bedarf an präventiver Gesundheitsversorgung schafft. Mit zunehmendem Alter wächst nicht nur das Risiko der Pflegebedürftigkeit, sondern auch die Gefahr von Vereinsamung, die sich negativ auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität auswirkt. Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass ältere Menschen oft erst dann Unterstützung in Anspruch nehmen, wenn Behinderungen, Pflegebedürftigkeit oder Demenz bereits eingetreten sind.

Präventive Angebote werden daher häufig zu spät oder gar nicht genutzt. Besonders in ländlichen Regionen, wo die Versorgungsinfrastruktur ohnehin schwächer ausgeprägt ist, ist dies eine große Herausforderung. Hinzu kommt der zunehmende Fachkräftemangel in der Pflege, der sowohl professionelle Pflegekräfte als auch pflegende Angehörige vor erhebliche Belastungen stellt. Mobile Gemeindeschwestern* können hier eine entscheidende Lücke schließen, indem sie frühzeitig Beratung und Unterstützung anbieten, Einsamkeit entgegenwirken und gleichzeitig die bestehende Pflegeinfrastruktur entlasten.

Auch aus diesen Gründen hat der Landtag 2016 der folgenden Empfehlung der Enquetekommission Pflege in Baden-Württemberg zukunftsorientiert und generationengerecht gestalten zugestimmt:

„Die Enquetekommission empfiehlt der Landesregierung den Ausbau einer landesweiten Struktur für zugehende Beratung nach dem Beispiel des präventiven Hausbesuchs (Modellprojekt ‚PräSenZ – Prävention für Senioren zu Hause‘).“

Ein präventiver Hausbesuch dieser Art wird zwar von einzelnen Kommunen wie zum Beispiel Stuttgart oder Karlsruhe angeboten. Von einer Umsetzung in ganz Baden-Württemberg sind wir aber weit entfernt, weil diese Empfehlung von der grün-schwarzen Landesregierung – wie viele andere Empfehlungen – nicht umgesetzt wurde. Damit wird etwa die Chance vertan, dass es mit Hilfe von solchen Beratungsstrukturen gelingt, dass ältere Menschen zum einen höheren Grad von körperlichen und psychischen Wohlbefinden behalten und zum anderen professionelle – und auch kostenintensive – Pflege erst später oder auch gar nicht in Anspruch nehmen müssen.

  1. Die Selbstständigkeit und Gesundheitsversorgung älterer Menschen durch den Einsatz mobiler Gemeindeschwestern* stärken

Unser Ziel ist es, Baden-Württemberg zukunftsfähig zu machen, indem wir innovative und nachhaltige Lösungen im Alter fördern. Die Erfahrungen aus dem evaluierten Landesprogramm Gemeindeschwes-
terplus in Rheinland-Pfalz sowie den Community Nurses im österreichischen Burgenland und Wien zeigen, dass derartige innovative Lösungen von der Zielgruppe gut angenommen werden und sich positiv auf deren Lebensqualität und psychisches Wohlbefinden auswirken. Deshalb will die SPD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg aufsuchende Pflege- und Sozialberatung an der Schnittstelle der kommunalen Beratung und Unterstützung von alten Manschen nach § 71 SGB XII – Sozialhilfe ermöglichen.

Vor dem Hintergrund des wachsenden Pflegebedarfs und der zunehmenden Herausforderungen durch den demografischen Wandel gibt es aus unserer Sicht keine tragfähige Alternative zur Einführung der Gemeindeschwester*. Die bisherigen Strukturen in der Pflege können den steigenden Anforderungen kaum gerecht werden, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen. Die Einführung der Gemeindeschwester* stellt vor diesem Hintergrund eine sinnvolle Ergänzung dar, die gezielt die Lücke zwischen ambulanter Pflege und Gesundheitsförderung schließt und gleichzeitig die kommunale Versorgungsstruktur nachhaltig stärkt.

Mit der Einführung der mobilen Gemeindeschwester* verfolgen wir drei klare Ziele. Erstens möchten wir die Eigenständigkeit älterer Menschen fördern. Besonders geschulte Fachkräfte sollen nach unserer Ansicht in einer Kümmererstruktur hochbetagte Menschen auf deren Wunsch Zuhause aufsuchen und sie kostenlos, individuell und angebotsneutral beraten. Die präventive Beratung nimmt beispielsweise die soziale Situation, gesundheitliche und hauswirtschaftliche Versorgung ebenso in den Blick wie die individuelle Wohnsituation, Mobilität oder Freizeitgestaltung und Kontakte. Die Fachkräfte vermitteln auf Wunsch wohnortnahe Teilhabeangebote wie Seniorentreffen, Bewegungsangebote, Veranstaltungen oder Kurse. Sie stellen Kontakte zu ehrenamtlich Aktiven, zu Vereinen, Kirchengemeinden und der Freien Wohlfahrtspflege her. Sie unterstützen die alten Menschen auch dabei, ihre Gesundheit etwa durch Teilnahme an Präventionsangeboten zu verbessern bzw. zu erhalten. Schließlich soll sozialer Isolation und Vereinsamung entgegengewirkt werden.

Zweitens streben wir die Entlastung von Pflegefachkräften und pflegenden Angehörigen an. Der Pflegealltag ist häufig von hoher Arbeitsbelastung, Zeitdruck und emotionalen Belastungen geprägt, was nicht nur das professionelle Pflegepersonal, sondern auch Angehörige, die ihre Familienmitglieder betreuen, stark beansprucht. Hier setzt die Gemeindeschwester* an: Mit ihren präventiven und beratenden Leistungen sorgt sie dafür, dass ältere Menschen frühzeitig Unterstützung erhalten und notwendige Ressourcen optimal genutzt werden können. Diese präventive Unterstützung hilft, Krisensituationen vorzubeugen, und trägt langfristig dazu bei, den Pflegealltag zu erleichtern und eine Überlastung der beteiligten Akteure zu verhindern.

Drittens setzen wir uns für die Stärkung der lokalen Gesundheitsversorgung ein. Durch gezielte Landeszuschüsse sollen flächendeckende und leicht zugängliche Strukturen geschaffen werden, die vor allem in ländlichen Regionen ein niedrigschwelliges Angebot für ältere Menschen ermöglichen. Diese finanzielle Unterstützung entlastet die Kommunen und befähigt sie, Stellen für Gemeindeschwestern* aufzubauen und nachhaltig zu fördern.

  1. Nachhaltige Landesfinanzierung, klare Aufgaben und Qualifikationen sowie kommunale Verankerung für die flächendeckende Etablierung mobiler Gemeindeschwestern*

Mit einer Landesförderung von bis zu 20 Mio. Euro pro Jahr wollen wir es Städten und Gemeinden ermöglichen, Gemeindeschwestern* selbst anzustellen. Damit können diese in die lokalen Strukturen eingebunden und direkt auf die Bedürfnisse vor Ort reagieren. Vom Land sollen dabei bis zu 75 % der Kosten gefördert sowie 0,5 Vollzeitäquivalente pro 10.000 Einwohner*innen ermöglicht werden.

Dabei sollen folgende Kriterien gelten:

  • Die Städte und Gemeinden, die eine Gemeindeschwester* beschäftigen wollen, haben mindestens 25 % der Kosten selbst aufzubringen.
  • Die Stelle soll mit einer Pflegefachkraft mit entsprechenden Fortbildungen in der Beratung und der Sozialarbeit besetzt werden.
  • Die Fachkraft muss eine tarifliche Vergütung erhalten.
  • Die Fachkraft muss in kommunale Strukturen der sozialen, gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung sowie in die Altenhilfeplanung eingebunden sein.
  • Die Fachkraft soll zudem Zugang zu den Wohnungsbaugesellschaften, Verkehrsgesellschaften, Vereinen und kommunalen Gremien haben.
  • Für die Ratsuchenden soll der Hausbesuch kostenlos sein.
  • Die Städte und Gemeinden, die eine Gemeindeschwester* beschäftigen, haben ein Konzept vorzulegen, dass ihre strukturelle Einbindung verdeutlicht.

Wir erkennen die finanzielle Belastung, die mit der Einführung der Gemeindeschwester* verbunden ist und sind uns der Herausforderungen für den Landeshaushalt bewusst. Dennoch sind wir überzeugt, dass diese Investition langfristig erhebliche Einsparungen im Gesundheitswesen ermöglichen kann. Präventive und kostenlose Gesundheitsmaßnahmen, wie sie durch die Gemeindeschwester* angeboten werden, tragen nicht nur dazu bei, die Lebensqualität der älteren Bevölkerung zu verbessern, sondern auch die gesundheitliche Chancengleichheit zu fördern.

  1. Evaluation und Qualitätssicherung

Um die Wirksamkeit und Sicherheit der neuen Versorgungsform zu gewährleisten, ist nach Ansicht der SPD-Landtagsfraktion eine Prozess- und Ergebnisevaluation vorzusehen. Diese soll sowohl organisatorische Abläufe als auch gesundheitliche und soziale Auswirkungen der Gemeindeschwestern* erfassen.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik