Redemanuskript Dr. Stefan Fulst-Blei
Erste Beratung Gesetzentwurf AfD zur Einführung des neuen neunjährigen Gymnasiums Baden-Württemberg (Drucksache 16/5979)
am 16. Mai 2019
Sie wissen, dass ich ein großer Verfechter von G9 bin – aber das hier geht gar nicht!
Jenseits der Tatsache, dass mir wahrscheinlich der Arm abfallen würde, wenn ich für einen Antrag der rechtsradikalen AfD stimmen müsste, weist der vorliegende Gesetzesentwurf massive konzeptionelle Schwächen auf.
Zum einen sollen alle Gymnasien gezwungen werden, zu G9 zurückzukehren. Es gibt aber auch Schulgemeinschaften, die bei G 8 bleiben wollen. Sinnvoller erscheint daher die Variante der Wahlmöglichkeit, wie sie in Hessen eingeführt wurde.
Weiter ist der Gesetzentwurf völlig unklar hinsichtlich der Möglichkeit, die 11. Klasse zu überspringen. Was heißt „bei Vorliegen der entsprechenden Leistung“? Geht es um die Noten am Ende der Klasse 10 oder der Klasse 8? Denn bereits in Klasse 8 müssten sich die Schülerin und Schüler für eine Extraförderung entscheiden.
Und damit sind wir auch schon beim nächsten Stolperstein:
Vier Förderstunden über zwei Jahre sollen potentielle Überspringer der 11. Klasse bekommen. Das ist erstens entwicklungspsychologisch fragwürdig, weil diese wichtige Entscheidung damit mitten in die Pubertät fällt.
Weiter soll Inhalt der Förderstunden der Stoff aus Klasse 11 sein. Die Schülerinnen und Schüler müssen also vorlernen. Wie soll das gehen, wenn das Grundlagenwissen dafür noch nicht vermittelt wurde? Lehrkräfte können so keinen Förderplan erstellen, wenn der eigentliche Unterricht die Jugendlichen plötzlich langweilt, während der Förderunterricht sie überfordert.
Für das Überspringen soll ein Notendurchschnitt von 3,0 ausreichend sein. 3,0! Ich glaube kaum, dass dies pädagogisch eine angemessene Voraussetzung für eine so maßgebliche Schulzeitverkürzung ist. Man kann doch nicht die Hürden absenken, um 20 bis 40 Prozent der Schülerschaft eine Verkürzung zu ermöglichen, wie es in der Zielsetzung heißt. Spätestens beim Abitur würde diese einen Preis dafür zahlen!
Alles völlig undurchdacht!
Und es geht weiter:
Ein Hauptgrund für G 9 für mich ist, Schülerinnen und Schülern eine Entlastung und auch Zeit für ihre Persönlichkeitsentwicklung zuzugestehen.
Geht es nach der AfD, werden die möglichen Zeit-Ressourcen sofort durch die Einführung neuer Stunden aufgefressen. 18 Stunden sind zusätzlich eingeplant.
Letzten Endes ist das Gesetz aber auch handwerklich völlig unrealistisch: eine Umsetzung zum 1. August 2019 wird verlangt.
Fehlerhaft ist auch die Annahme, dass in vielen Schulen ausreichend Räumlichkeiten aus früheren G9 Zeiten vorhanden sind. Dies blendet völlig aus, dass die Gymnasien in den vergangenen Jahren steigende Anmeldezahlen verzeichnen. Nein, hier bedürfte es einer sauberen Planung. Sie würden das Gegenteil bewirken: Chaos!
Schließlich, und hier hört der Spaß endgültig auf:
Der Gesetzentwurf ist ideologisch hoch aufgeladen. Als jemand, der selbst Geschichte unterrichtet hat, bin ich der letzte, der sich gegen eine Ausweitung von Geschichtsstunden stellt. Wenn ich aber bei Ihnen lese, „Anzustreben ist eine gleiche Gewichtung aller Zeitepochen“, erkenne ich klar und deutlich ihre Vogelschiss-Politik.
Ihr Ansinnen muss man im Kontext Ihrer zahlreichen Anträge zum Landeshaushalt lesen, in denen Sie immer wieder versucht haben, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu nivellieren. Die deutsche Geschichte besteht nicht nur aus dem Nationalsozialismus. Aber eben dessen Verbrechen sind für uns ein Auftrag, der lautet: nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Sie haben dagegen gefordert, die Mittel für die KZ-Gedenkstätte Gurs komplett zu streichen.
Sie wollen die Landeszentrale für politische Bildung abschaffen.
Sie haben Anträge gestellt, Haushaltstitel von „Gedenkstätten des nationalsozialistischen Unrechts“ in „bedeutsame Gedenkstätten der deutschen Geschichte“ umzubenennen. Sie wollen vergessen machen.
Sie haben damit Ihre Masken längst fallen gelassen.
Mit der Formulierung „Anzustreben ist eine gleiche Gewichtung aller Zeit-Epochen“ kündigen sie den demokratischen Konsens der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft weiter auf.
In aller Deutlichkeit: Schämen Sie sich!
Kolleginnen und Kollegen,
die AfD ist keine Alternative, sondern eine Gefahr für Deutschland.
Wer diese Partei nach drei Jahren im Landtag von Baden-Württemberg nur als „populistisch“ bezeichnet, der verharmlost sie.
Die AfD ist eine rechtsradikale Partei mit klaren Tendenzen zum Rechtsextremismus.
Stellen wir uns entschieden gegen jedes rechtsradikale Gedankengut und wenn es noch so scheinbar harmlos verpackt daherkommt.
Es gilt das gesprochene Wort.