MdL Rainer Stickelberger: „Oettinger will die Überprüfung als Alibi-Veranstaltung ins Hinterzimmer verbannen“
MdL Reinhold Gall: „Die Verwaltungsreform muss auf Herz und Nieren überprüft werden – dazu leisten auch wir unseren Beitrag“
Die SPD-Landtagsfraktion kritisiert das Vorgehen der Regierung bei der Evaluation der Verwaltungsreform und präsentiert zugleich eigene Kontroll-Vorschläge. Nach den Worten von Rainer Stickelberger, Verwaltungsexperte der SPD-Fraktion, muss die Evaluation anhand der Kriterien Bürgernähe, Bürokratieabbau und Serviceorientierung vorgenommen werden. Mit einer ganzen Reihe von Anträgen zu den wichtigsten Themenfeldern der Verwaltungsreform will die SPD aktiv in den Überprüfungsprozess eingreifen, obwohl sie ihr eigenes Modell für eine Verwaltungsreform nach wie vor als das bessere Konzept betrachtet.
Um eine möglichst objektive Prüfung sicherzustellen, müsse die Evaluation durch ein unabhängiges Gremium erfolgen, fordert die SPD. Die Regierung dagegen plane offenkundig ein „Hinterzimmerspektakel“ als reine Alibi-Veranstaltung. Die Verwaltungsreform werde ausschließlich durch staatliche Stellen unter Ausschluss der Öffentlichkeit anhand diffuser Kriterien überprüft, so Stickelberger. „Es drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass die Regierung die Kritik und Anregungen der Beamten – sofern sie sich gegenüber ihrem eigenen Dienstherrn überhaupt mit der Sprache heraustrauen – hinter geschlossenen Türen versanden lassen wollen.“
Auf völliges Unverständnis bei der SPD-Fraktion stößt die Absicht der Regierung, Abgeordnete der Regierungsfraktionen von CDU und FDP „exklusiv“ an den Anhörungen zu beteiligen. Stickelberger: „Die Regierung verstößt gegen die verfassungsmäßige Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive. Entweder sie macht eine öffentliche Anhörung unter Einbeziehung des Parlaments und Vertretern aller Fraktionen oder eine nicht-öffentliche Anhörung mit den Beamten der Verwaltung – Vertreter der Regierungsfraktionen haben dort dann aber nichts verloren.“
Unabhängige Überprüfung
Die SPD hält es für unverzichtbar, dass die Evaluation so objektiv wie möglich durchgeführt wird. Sie beantragt deshalb in ihrem übergreifenden Parlamentsantrag zur Überprüfung der Verwaltungsreform die Beauftragung eines unabhängigen Gremiums. „Denkbar ist die Einschaltung eines Instituts oder unabhängiger Sachverständiger, wie etwa Verwaltungspraktiker, -wissenschaftler oder Vertreter des Rechnungshofs“, erklärte Stickelberger. Es sei mehr als fragwürdig, dass die Überprüfung der Verwaltungsreform im Wesentlichen von denen gemacht werde, die diesen Reform-Torso mitentworfen hätten oder davon profitierten und das bei der Reform federführende Ministerium jetzt auch die Evaluation in den eigenen Händen halte. „Ministerpräsident Oettinger fürchtet offenkundig eine unabhängige Beurteilung“, stellt Stickelberger fest.
SPD-Modell zur Verwaltungsreform bleibt das überlegene Konzept
Die SPD-Fraktion hatte als erste Fraktion im Landtag und lange vor der Regierung bereits im Januar 2003 ein umfassendes Konzept für eine durchgreifende Verwaltungsreform vorgelegt. Kernpunkt war die Schaffung von etwa 8 Regionalkreisen, die die bisherigen Kompetenzen der Regierungsbezirke, Stadt- und Landkreise bei den Selbstverwaltungs- und staatlichen Aufgaben übernehmen sollten. Zugleich sollten delegierbare Aufgaben so weit wie möglich bürgernah den Kommunen übertragen werden.
Stickelberger machte deutlich, dass die SPD an diesem überlegenen Modell festhält. Sie müsse jedoch zur Kenntnis nehmen, dass es derzeit keine Chance für eine Umsetzung des SPD-Konzeptes gibt und beteilige sich deshalb mit einem ganzen Paket von Anträgen an der Evaluation der CDU/FDP-Verwaltungsreform. Stickelberger: „Wir wollen in den Bereichen, in denen der Änderungsbedarf besonders dringlich ist, den Druck auf die Regierung erhöhen.“
Reinhold Gall: Vorschläge zur Evaluation im Einzelnen
Die Verwaltungsreform muss sich nach Ansicht von Reinhold Gall, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, nicht nur an der Effizienzrendite messen lassen, sondern vielmehr an den Kriterien Bürgernähe, Bürokratieabbau, Aufgabenabbau, Dauer der Entscheidungsprozesse und Qualität der Verwaltung. Dazu gehörten auch Fragen zur Organisation innerhalb der Behörden: Führt die Einhäusigkeit tatsächlich zu schnelleren und besseren Entscheidungen? Welche Synergieeffekte sind wirklich feststellbar? Wie hat sich die Reform im Personalwesen ausgewirkt? Diese Fragen hat die Fraktion in zwölf Anträgen zu den verschiedenen Verwaltungsbereichen zusammengefasst. Auf der Landespressekonferenz griff Gall einige Beispiele heraus.
Wirtschaftskontrolldienst
Aus Sicht der SPD-Fraktion ist durch die Zerschlagung des WKD ungeheuer viel Kompetenz und Effizienz verloren gegangen. Die Lebensmittelkontrolle habe wegen der fehlenden Anbindung an die Polizei enorm an Schlagkraft verloren. Und der Polizei fehlten nun Erkenntnis- und Eingriffsmöglichkeiten bei den in bestimmten Bereichen der Gastronomie häufiger feststellbaren Verstößen gegen das Ausländerrecht und bei der Wirtschaftskriminalität. Aus diesen Gründen helfe eine bloße „Reparatur“ nicht weiter, so Gall. Wegen der „irreparablen Schäden“ komme für die SPD nur die Rückeingliederung des WKD in die Organisation der Polizei in Frage.
Gall: „Der Wegfall des WKD mit seinen polizeilichen Befugnissen und einer hervorragenden technischen Ausstattung hat zu einer nicht nur vorübergehenden Verschlechterung der Lebensmittelkontrolle geführt. Die Zahl der Betriebe, die statistisch gesehen von einem einzigen Lebensmittelkontrolleur zu kontrollieren ist, ist binnen zwei Jahren dramatisch von 663 auf 893 angewachsen.“
Forstverwaltung, Flurneuordnung
Als weiteren Punkt mit dringendem Änderungsbedarf betrachtet die SPD-Fraktion die Forstverwaltung. Hier sei eine verbesserte Beratungsqualität und ein zweckmäßiger Zuschnitt der Reviere dringend notwendig, so Gall. Die Verlagerung der Forstverwaltung und die faktische Zerschlagung des Einheitsforstamtes hätten nach den Aussagen betroffener Privatwaldbesitzer wie auch der Kommunen zu einer Verschlechterung der Beratungsleistungen durch die Forstbehörden geführt. Gleichzeitig habe die wegen der Reform neu entstandene Versteuerungspflicht forstlicher Dienstleistungen zu einer deutlichen Verminderung der Einnahmemöglichkeiten geführt.
Auch in der Flurverwaltung ist aus Sicht der SPD eine überregionale Organisation unerlässlich. Die Umstrukturierung der Flurneuordnung habe zu einer unsinnigen Verteilung der Fachleute auf die Landkreise geführt, unabhängig davon, wie viele Verfahren es in dem jeweiligen Landkreis überhaupt gibt. Gerade staatliche Großbaumaßnahmen hätten aber eine sehr ungleichmäßige Aufgabenverteilung zur Folge. Die versuchte Korrektur des Konstruktionsfehlers durch die so genannten Poolstellen könne die Schwächen der Verwaltungsreform in diesem Bereich nicht kompensieren, so Gall.
Straßenbauämter
Im Straßenbauwesen führt die Kompetenztrennung zwischen Erhalt und Unterhalt nach allen vorliegenden Erkenntnissen zu endlosen Zuständigkeitsstreitereien. Die Reparatur dringend sanierungsbedürftiger Straßen werde verzögert, während sich der ohnehin miserable Zustand der Landesstraßen weiter verschlechtere. Da kleine Ausbesserungsmaßnahmen den Unterhaltungsmaßnahmen zuzurechnen und aus den pauschalierten Mitteln des Landes an die jeweiligen Kreise zu bestreiten seien, würden kleinere Straßenschäden so lange ignoriert, bis ein großes Schlagloch eine aufwendigere Erhaltungsmaßnahme nötig mache, für die dann das Land direkt Mittel bereitstellen müsse. Gall: „Die Schlaglöcher verschwinden im Nirwana des Kompetenzwirrwarrs zwischen Land und den Kreisen.“
Hilfe für wohnungslose Menschen, Folgen für behinderte Menschen
Die Zahl wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg ist nach den Ergebnissen der Stichtagserhebung der Liga der freien Wohnungslosenhilfe gestiegen. Stark zugenommen hat insbesondere die Zahl wohnungsloser Frauen. Die Übertragung der Zuständigkeit für die Wohnungslosenhilfe auf die örtlichen Träger hat zu Verwerfungen geführt, die nach Ansicht der SPD dringend korrigiert werden müssen. So fordert etwa die Liga, die Zuständigkeit für die Wohnungslosenhilfe wieder auf Landesebene, den Kommunalverband für Jugend und Soziales, zurück zu verlagern, um eine einheitliche Weiterentwicklung zu gewährleisten.
Mit dem Verwaltungsstruktur-Reformgesetz wurden die beiden Landeswohlfahrtsverbände aufgelöst, ein neuer Kommunalverband für Jugend und Soziales als überörtlicher Träger gebildet und die Zuständigkeit für sämtliche Hilfen des SGB XII auf die örtlichen Träger der Sozialhilfe übertragen, soweit nicht bundesrechtlich die sachliche Zuständigkeit des überörtlichen Trägers zwingend vorgegeben ist. Dies hat, so Gall, insbesondere im Bereich der Hilfe für behinderte Menschen die Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung grundlegend geändert. Immer wieder hätten Kommunalvertreter, aber auch der Ministerpräsident selber, von einem angeblich notwendigen „Abbau von Standards“ bzw. von „Kosteneinsparungen“ geredet, so Gall. Dazu stelle die SPD nun in ihren Anträgen präzise Fragen zu den Auswirkungen der Verwaltungsreform.
Schulverwaltung
Auch im Bereich der Schulverwaltung will die SPD-Landtagsfraktion die Verwaltungsreform einer kritischen Prüfung unterziehen. Hier will die SPD wissen, wie die Übertragung von Aufgaben der unteren und oberen Schulaufsichtsbehörden auf die Stadt- und Landkreise und die Regierungspräsidien gestaltet wurde und wird und welche Schwierigkeiten und möglichen Qualitätsverluste sich bei der Beratung und Aufsicht der Schulen in der Praxis daraus ergeben.
Vermessung, Denkmalschutz, Liegenschaften
Durch die Aufspaltung des Landesbetriebes Vermessung hat die Landesregierung mit der Verwaltungsreform die landeseinheitliche Organisationsstruktur für die gesamte Vermessungsverwaltung aufgegeben. Die Übertragung der Vermessungsämter auf die Landkreise erfolgte nicht kostendeckend und führt offensichtlich zu verstärkten Anstrengungen der Kreise, die Auftragslage der Vermessungsverwaltung zu verbessern. Dadurch sinkt nach den Erkenntnissen der SPD das Auftragsvolumen der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure, deren Auftragsanteil nach einem Beschluss der Landesregierung aber nicht sinken, sondern auf 80 Prozent der Aufträge ansteigen soll.
Bei der Denkmalpflege muss nach den Worten von Reinhold Gall geklärt werden, inwieweit die organisatorische Neugestaltung in fünf Organisationseinheiten die früher hoch gelobte Arbeit der Denkmalpflege beeinträchtigt.
Als einen ganz heiklen Punkt sieht die SPD-Fraktion die zahlreichen Liegenschaften im Eigentum des Landes, die aufgrund der Verwaltungsreform nicht mehr benötigt werden. Dadurch seien dem Land Mietzahlungen in nicht unerheblichem Umfang weggebrochen. Wie hoch diese Verluste sind und wie sie aufgefangen werden, will die SPD bei der Evaluation der Verwaltungsreform ebenfalls geklärt wissen.
Pressesprecher