MdL Reinhold Gall: „Online-Durchsuchungen im Landespolizeigesetz darf es nicht geben, weil Kernbereiche privater Lebensgestaltung trotz Terrorgefahr geschützt bleiben müssen“
MdL Rainer Stickelberger: „Freiheitsrechte dürfen nicht im Namen der Sicherheit zu Tode geschützt werden. Der Rechtsstaat darf sich nicht schleichend in einen Präventionsstaat verwandeln“
Bei der Stärkung der Inneren Sicherheit in Baden-Württemberg setzt die SPD-Landtagsfraktion auf die Wirkung stabiler Strukturen und erteilt „gesetzgeberischem Aktionismus“ eine klare Absage. Es komme darauf an, trotz einer gestiegenen Terrorgefahr die Freiheitsrechte der Bürger zu schützen, den Rechtsstaat nicht schleichend durch einen Präventionsstaat zu ersetzen und Polizei und Justiz angemessen mit Personal und Technik auszustatten, damit die bestehenden Gesetze konsequent angewendet werden können, betonten Reinhold Gall, Parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher, und Rainer Stickelberger, rechtspolitischer Sprecher, vor der Landespresse.
Die von Innenminister Rech (CDU) geplante Verankerung der sogenannten Online-Durchsuchung im baden-württembergischen Polizeigesetz stößt bei der SPD auf strikte Ablehnung. „Online-Durchsuchungen darf es nicht geben, weil Kernbereiche privater Lebensgestaltung trotz Terrorgefahr geschützt bleiben müssen“, sagte Gall. Er ermunterte die FDP, ebenfalls bei einem klaren Nein zu bleiben.
Gall hob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hervor, das die Karlsruher Verfassungsrichter im Dezember 1983 den Menschen in Deutschland als grundlegendes Recht zum Schutz ihrer Persönlichkeit garantierten. „Mit Blick auf Tendenzen in der CDU, dieses Grundrecht immer mehr auszuhöhlen, befürchte ich, dass es seinen 25. Ge-burtstag im Jahr 2008 nicht mehr erleben wird“, so Gall.
Der SPD-Innenexperte räumte ein, dass sich die Sicherheitslage erheblich verändert habe. Allerdings helfe das Schüren von Panik bei den Menschen in Deutschland nicht wei-ter. „Jetzt kommt es auf strategische Konzepte und Maßnahmen an, die eine Gefahr frühzeitig erkennen und Anschläge vermeiden können“, brachte Gall den SPD-Ansatz auf den Punkt. Mindestens genau so wichtig sei eine unaufgeregte Aufklärung der Bevölkerung. „Ein gesundes Selbstvertrauen bei der Wahrnehmung seiner Umgebung und die Demonstration von Zivilcourage leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Beherrschung von Sicherheitsrisiken“, betonte Gall.
Leitgedanke der SPD-Landtagsfraktion bleibe auch in der aktuellen Sicherheitsdebatte der soziale Rechtsstaat, der Bürgerrechte und die Freiheit vom Obrigkeitsstaat garantiere. „Die Freiheitsrechte des Bürgers dürfen nicht im Namen der Inneren Sicherheit zu Tode geschützt werden“, sagte Stickelberger. Er unterstützte ausdrücklich die Linie von Bundesjustizministerin Zypries (SPD), dass „nicht die Verteidigung der Bürgerrechte der Rechtfertigung bedarf, sondern deren Einschränkung“. Eingriffe in Freiheitsrechte müssten sehr sorgfältig gegen einen erwarteten Zugewinn an Sicherheit für den Staat abgewogen werden. „Angesichts der sich täglich überschlagenden Meldungen aus dem CDU-Regierungslager scheint mir dieses Grundprinzip in Vergessenheit geraten zu sein“, tadelte Stickelberger.
Die in der Sicherheitsdebatte immer wieder angeführte Rechtfertigung, dass derjenige nichts zu befürchten habe, der nichts zu verbergen hat, hält Stickelberger für den falschen Denkansatz. „Darauf kommt es doch gar nicht an. Entscheidend ist die Frage, was es den Staat angeht.“ Die SPD halte ohne Wenn und Aber an dem Grundsatz fest, dass dem Staat nur bei konkretem Verdacht oder akuter Gefahr Eingriffsrechte zustehen. „Einen Präventionsstaat lehnen wir ab“, stellte Stickelberger klar.
Novellierung des Landespolizeigesetzes: Nein zur Online-Durchsuchung
Bei der geplanten Novellierung des Landespolizeigesetzes mahnte Gall „einen kühlen Kopf“ an. Man müsse stabile Strukturen schaffen, die der Polizei tatsächlich eine Unterstützung bei der Verhütung und Aufklärung von Verbrechen sind. „Es ist keinem geholfen, wenn viele Paragraphen produziert werden, die aber später mangels Personal, technischer Ausstattung, fehlendem Know-How oder nahezu unüberwindbarer rechtlicher Hürden doch keine Ermittlungsgrundlage sein können.“
Das Instrument der sogenannten Online-Durchsuchung lehnt die SPD-Landtagsfraktion ab. „Es steht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht die Hürden ähnlich hoch legen wird wie bei der Wohnraumüberwachung. Im Ergebnis kommt eine Anwendung dann nur in Einzelfällen in Betracht und ob dies eine solch grundlegende Eingriffskompetenz des Staates rechtfertigt, halte ich für sehr fragwürdig“, begründete Gall sein Nein. Auch das Verfahren des sogenannten „Richterbandes“ vermag den SPD-Innenexperten nicht zu überzeugen. „Es geht niemanden etwas an, welche privaten Daten eine Bürgerin oder ein Bürger auf dem PC speichert, auch keinen Richter“, so Gall. Der Kernbereich privater Lebensgestaltung müsse verlässlich geschützt bleiben.
Auch einer Ausweitung der Videoüberwachung steht die SPD sehr zurückhaltend gegenüber. Anknüpfungspunkt müsse, wie bisher, das Gefährdungspotential eines Ortes sein. Allein die Tatsache, dass viele Menschen zusammengekommen sind, rechtfertige es nicht, dass die Polizei Videobänder von ihnen anfertige. Die geplante Verlängerung der Speicherdauer über 48 Stunden hinaus steht nach Ansicht Galls dem Sinn und Zweck dieser Regelung entgegen: „Die Videoüberwachung großer Veranstaltungen ist doch hauptsächlich dazu gedacht, bei Auffälligkeiten präventiv einzugreifen. Eine längere Speicherdauer bringt hierbei keinen Nutzen.“
Als völlig ungeeignetes Instrument zur Terrorabwehr betrachtet Gall die Aufschaltung auf private Kameras. „Da würden Türen und Tore geöffnet, die man besser verschlossen hält. Der Sprung, dass sich demnächst auch Private auf öffentliche Kameras aufschalten dürfen, ist dann womöglich nicht mehr groß“, so Galls Befürchtung.
Den flächendeckenden Einsatz eines automatischen Kennzeichenlesesystems möchte die SPD auf Orte mit Gefährdungspotential begrenzt wissen und zwar in strikt anlassbezogener Ausübung. „Über eine Kontrolle im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle in der Nähe einer nationalen Grenze kann man mit Sicherheit reden“, sagte Gall, erteilte aber einer generellen Überwachung eine Absage.
Skeptisch sieht die SPD die vorbeugende Überwachung von Telefonen. Gall rief ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Erinnerung, wonach die präventive Telefonüberwachung nur dann angeordnet werden dürfe, wenn ein konkreter Hinweis auf die Vorbereitung oder Planung einer Straftat vorliege. Diese Grundsätze will die SPD gewahrt wissen. Offen sei man demgegenüber für den Einsatz von sogenannten „IMSI-Catchern“, mit deren Hilfe Mobiltelefone geortet werden können.
Die Einführung eines neuen Paragraphen im Polizeigesetz, der den Platzverweis bei häuslicher Gewalt regelt, trägt die SPD voll mit. „Auch wenn diese Maßnahme schon bislang aufgrund der Generalklausel zur Gefahrenabwehr angewendet werden durfte, stellt die ausdrückliche Regelung klar, dass Gewalt auch im häuslichen Umfeld von unserer Rechtsgemeinschaft nicht toleriert wird“, erklärte Gall.
Polizei und Justiz vernünftig mit Personal und Technik ausstatten
Nach Ansicht Galls sind die eigentlichen Mängel bei der Polizei nicht so sehr fehlende rechtliche Befugnisse, sondern vielmehr Nachholbedarf bei der Einstellung von Polizeianwärtern, bei der technischen Ausstattung und beim Know-how. Die Personalsituation bei der Polizei bezeichnete Gall als „nach wie vor desolat“. Es sei höchste Zeit, dass die Regierung die Polizistinnen und Polizisten nicht nur als finanziellen Belastungsposten wahrnehme, sondern ihrem Auftrag die gebotene Wertschätzung entgegenbringe. Das geringe Einstiegsgehalt, die schlechten Beförderungsaussichten und der zunehmende Respektsverlust ließen die Attraktivität dieses Berufsbildes sinken.
Als „beängstigend und erschreckend“ wertete Gall die Entwicklungen bei der Kriminalität im Internet: „Inzwischen kennt fast jeder jemanden, der von einem Internet-Betrüger übers Ohr gehauen wurde, oder ist sogar selbst betroffen.“ Hier fehle es vor allem an technischen Gerätschaften und auch an Fachleuten, um diese neue Form der Kriminalität zu bekämpfen. „Es darf nicht sein, dass die Polizei abgehängt wird“, mahnte Gall.
Genauso wenig dürfe die Justiz als wichtiger Garant für die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger aus den Augen verloren werden. Die personelle und technische Ausstattung müsse so organisiert sein, dass die Funktionstüchtigkeit gewährleistet ist. Privatisierungspläne in diesem Bereich, etwa bei den Gerichtsvollziehern und beim Strafvollzug, hält die SPD für einen verhängnisvollen Irrweg. „Wir stehen für einen schlanken Staat, der seine hoheitlichen Aufgaben effektiv und zuverlässig wahrnimmt. Kernbereiche des Staates, die sein Gewaltmonopol berühren, dürfen nicht in private Hände gegeben werden“, unterstrich Stickelberger.
Bürgerinnen und Bürger in Sicherheitsstrategie mit einbeziehen
Großen Wert legt die SPD darauf, die Menschen bei den Entwicklungen im Sicherheitsbereich mit einzubeziehen. Dazu gehöre in erster Linie, dass die Politik nicht aus Profilierungssucht Panik schüre und eine Sicherheitshysterie provoziere. „Die Annahme, dass mehr Gesetze automatisch mehr Sicherheit bedeuten, ist ein Trugschluss“, gab Stickelberger zu bedenken. Aber auch die Bevölkerung müsse sich auf die neuen Gefahrenlagen einstellen. „Die Sorglosigkeit, mit denen die Bürger ihre Daten etwa im Internet zur Verfügung stellen, ist erschreckend. Hier tut Aufklärung wirklich Not“, so Stickelberger.
Die politische Verantwortung für die öffentliche Sicherheit dürfe nicht bei der Angst der Menschen im Land vor terroristischen Anschlägen und Kriminalität aufhören. „Unsere Bürgerinnen und Bürger werden ebenso von Sorgen um ihren Arbeitsplatz, der Gefährdung ihres Lebensstandards, dem Verfall sozialer Strukturen, ihrer Sicherung im Alter und dem Verlust der natürlichen Lebensgrundlagen umgetrieben“, so Stickelberger. Auch diese Aspekte setzten den Rahmen sowohl für die Verwirklichung von Bürgerrechten als auch für die Entstehung eines positiven Sicherheitsgefühls. Außerdem hätten sie entscheidenden Einfluss darauf, ob sich der Einzelne in der Gesellschaft als selbstbewusster Akteur oder nur als Objekt staatlichen Handelns begreife.
3. August 2007
Martin Mendler
Stellv. Pressesprecher