Spitzenkandidat Nils Schmid: „Die SPD wird dafür sorgen, dass der Aufschwung bei den Beschäftigten ankommt“

Fraktionschef Claus Schmiedel: „Der Staat darf nicht selbst dazu beitragen, dass sich die Löhne weiter nach unten entwickeln und immer mehr Menschen zusätzlich zu ihrem Lohn auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind“

Die SPD-Fraktion geht als Ergebnis ihrer Klausurtagung in Heilbronn vor allem zwei Probleme an: erstens das Lohndumping im Land durch Auswüchse beim Wettbewerb um öffentliche Aufträge sowie zweitens den Missbrauch in der Leiharbeit. „Das Land darf die Schattenseiten beim Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr länger bewusst ignorieren“, erklärt Nils Schmid, Spitzenkandidat und Fraktionsvizechef. Die Fraktion wird dazu zum einen ein Tariftreuegesetz für öffentliche Aufträge in den Landtag einbringen. Zum anderen soll die Landesregierung mit einem Parlamentsantrag dazu verpflichtet werden, den aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Missbrauch der Leiharbeit im Bundesrat erheblich zu verbessern. Dies sei schon deshalb dringend erforderlich, da ab Mai 2011 auch für die Staaten Osteuropas die Dienstleistungsfreiheit gelte. „Ohne Mindestlohn in der Leiharbeit könnten baden-württembergische Beschäftigte von osteuropäischen Leiharbeitern verdrängt werden, die für einen mageren Lohn von fünf Euro pro Stunde arbeiten müssen“, warnt Schmid. Hier drohten etwa für kleinere Handwerksbetriebe schwerwiegende Folgen in bislang ungeahntem Ausmaß.

Das Tariftreuegesetz soll Verzerrungen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge entgegenwirken, die durch den Einsatz von Niedriglohnkräften entstehen. Ziel ist auch, Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme zu mildern. Die SPD will erreichen, dass nicht mehr derjenige Bieter den Zuschlag erhalten soll, der seine Beschäftigten am schlechtesten bezahlt. „Der Staat darf nicht selbst dazu beitragen, dass sich die Löhne weiter nach unten entwickeln und immer mehr Menschen im Land zusätzlich zu ihrem Lohn auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind“, erklärt SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. Bereits heute sind im Land rund 20.000 Vollzeit-Beschäftigte auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen. Deshalb sei ein Tariftreuegesetz unerlässlich, zumal es die meisten anderen Bundesländer bis auf Bayern, Hessen, Sachsen-Anhalt und Sachsen bereits haben oder planen. „Das Land muss Lohndumping und unfairem Wettbewerb endlich einen Riegel vorschieben“, fordert Schmiedel. „Das ist gut für die Unternehmen und gut für die Beschäftigten.“

Öffentliche Aufträge an Lohnregelungen binden
Mit dem von der Fraktion beschlossenen Gesetzentwurf könnten Auftragnehmer und Subunternehmer in Branchen, die bereits in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufgenommen sind, bei öffentlichen Aufträgen stärker an bestehende Lohnregelungen gebunden werden. Zu diesen Branchen zählen das Baugewerbe, die Dachdecker, das Elektrohandwerk, die Gebäudereinigung oder die Abfallwirtschaft. Hier soll bereits aus der Kalkulation der Aufträge bei den Ausschreibungen hervorgehen, wie die Lohnvereinbarungen berücksichtigt werden. Das würde auch entsprechende Prüfungen erleichtern.

Bei dem Tariftreuegesetz geht es zudem um den öffentlichen Personennahverkehr. Künftig soll bereits in der Ausschreibung der konkrete Tarifvertrag festgelegt werden, nach dem die Beschäftigten entlohnt werden sollen. Die SPD will damit verhindern, dass Unternehmen öffentliche Ausschreibungen dadurch gewinnen, weil sie niedrigere Löhne als die Konkurrenz festlegen. „Unternehmen haben nur dann eine Chance im Wettbewerb, wenn sie ein Angebot auf der Grundlage der niedrigsten Löhne abgeben“, bestätigt Klaus Felsmann, Betriebsratsvorsitzender der Stuttgarter Straßenbahnen AG SSB. „Es kann ja wohl nicht sein, dass der Staat eine endlose Lohnspirale nach unten veranlasst“, erklärt Schmid deshalb. Zudem geht es dabei um die Ruhe- und Erholungszeiten, die für die Sicherheit im Verkehr wichtig sind. Auch die Schülerbeförderung, die heute von den Kommunen in der Regel ohne Qualitätsansprüche und nur nach dem niedrigsten Preis vergeben wird, soll einbezogen werden. „Nur auf Grundlage eines Tariftreuegesetzes kann der Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten eingegrenzt werden“, sagt Felsmann.

Bei allen anderen Branchen will die SPD sicherstellen, dass die Auftragnehmer ihren Beschäftigten einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Beispiele dafür sind die Ausschreibungen von Postdienstleistungen sowie Fahr- und Transportdiensten.

Schmiedel unterstreicht, dass nicht nur die SPD-geführten, sondern auch CDU-geführte Bundesländer solche Regelungen getroffen haben. Dabei wurde inzwischen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs berücksichtigt. „Gesetze gegen Lohndumping und für mehr Wettbewerbsgleichheit werden von der CDU immer dann verhindert, wenn sie sich nicht gegen den Wirtschaftsliberalismus der FDP durchsetzen können“, sagt Schmiedel. Auch Wirtschaftsminister Pfister habe einen früheren Gesetzentwurf der SPD für die Landesregierung mit dem Argument abgelehnt, dass „öffentliche Aufträge und das Vergabewesen auf der einen Seite und Tariftreue auf der anderen Seite zunächst einmal überhaupt nichts miteinander zu tun“ hätten. Für die SPD zeigten sich hier die Auswüchse des Wirtschaftsliberalismus. Der Staat dürfe nicht zulassen, dass sich die Lohnspirale durch die Praxis bei den öffentlichen Ausschreibungen noch stärker nach unten drehe. Selbst viele mittelständische Unternehmen verwiesen darauf, dass bei öffentlichen Ausschreibungen derzeit keine Wettbewerbsgleichheit bestehe. Immerhin geht es in Baden-Württemberg um ein Finanzvolumen von 30 Milliarden Euro pro Jahr.

Missbrauch in der Leiharbeit muss bekämpft werden
Die SPD will zudem den Missbrauch in der Leiharbeit effektiv bekämpfen. Dazu sei der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung völlig ungeeignet. „Mappus muss im Bundesrat erhebliche Verbesserungen erreichen, um Lohndumping durch Leiharbeit zu vermeiden“, fordert Schmid. Das sei gerade für Baden-Württemberg besonders wichtig, da hier die Leiharbeitsbranche der Wirtschaftszweig mit den höchsten Wachstumsraten sei – auch wenn die Quote landesweit noch unter drei Prozent liege. Da die Leiharbeiter vor allem im verarbeitenden Gewerbe etwa im Metallbereich eingesetzt werden, ist die Zahl der festen Arbeitsplätze in dieser Branche trotz des Aufschwungs in Baden-Württemberg sogar gesunken. Zusätzliche Arbeitsplätze entstünden hier nur durch Leiharbeit. In Heilbronn ist inzwischen etwa jeder vierzehnte Beschäftigte als Leiharbeiter angestellt, in Ulm jeder zehnte.

Insgesamt ist die Anzahl der sozialversicherten Leiharbeiter im Land in den vergangenen zwölf Monaten um über 50 Prozent auf nahezu 100.000 gestiegen. Das ist mit weitem Abstand die höchste Steigerung im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Über 40 Prozent aller freigemeldeten Stellen sind von Leiharbeitsfirmen ausgeschrieben. Zwar gilt in der Leiharbeit das Prinzip gleicher Bezahlung aller Beschäftigten. Ein eigenständiger Tarifvertrag kann aber andere Regelungen treffen und damit die bestehende Tarifbindung in den Unternehmen in erheblichem Ausmaß unterlaufen.

Als Folge enthält ein Leiharbeiter etwa 25 Prozent weniger Einkommen als ein Stammbeschäftigter. „Die SPD wird nicht mehr hinnehmen, dass zwei Beschäftigte für dieselbe Arbeit in einem Betrieb nach unterschiedlichen Tarifverträgen entlohnt werden“, erklärt Schmid. Ein Beispiel für besondere Verwerfungen ist die Firma Schlecker. Sie kündigte Arbeitnehmer, um sie in der eigenen Leiharbeitsfirma zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder einzustellen.

Die SPD will den Einsatz von Leiharbeitern wieder auf Vakanzvertretungen und Auftragsspitzen konzentrieren. „Leiharbeit darf nicht dazu dienen, die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern ordentlich ausgehandelten Tarifverträge auszuhebeln“, fordert Schmiedel. In diesem Zusammenhang begrüßt er die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember, das der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen die Tariffähigkeit aberkannt hat. Damit verlieren die von ihnen abgeschlossen Tarifverträge rückwirkend ihre Gültigkeit.

Die SPD fordert in jedem Fall – auch unabhängig vom aktuellen Gesetzgebungsverfahren – einen Mindestlohn in der Leiharbeit einzuführen. Schmid verweist darauf, dass im Mai 2011 auch die Staaten Osteuropas die Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU erhielten. Dennoch käme die Landesregierung auch bei diesem wichtigen Thema nicht zu Potte, da CDU und FDP sich wieder einmal nicht einig seien. Ministerpräsident Mappus bleibe bei vagen Ankündigungen und FDP-Wirtschaftsminister Pfister sage bei einem Ja zum Mindestlohn den Untergang des Abendlandes voraus. „Die SPD wird nicht hinnehmen, dass Schwarz-Gelb aus Furcht, ihre eigene Klientel zu belasten, die Arbeitnehmer im Land vernachlässigt“, erklärt Schmid. Als Regierungspartei will die SPD deshalb auch auf der Ebene des Bundesrats einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn voranbringen, den es ja bereits in den meisten anderen Staaten der Europäischen Union gibt.

Stuttgart, 12. Januar 2011
Dr. Roland Peter
Pressesprecher