Ich war einige Jahre (auch) Sportminister in unserem Land. Vielleicht werde ich deswegen immer wieder gefragt, was ich von einer der großen Gemütsblasen dieser Tage halte. Die Bundesjugendspiele sollen kein reiner Wettkampf mehr sein. Und wer gerne schäumt, schäumt auch jetzt wieder. Man erziehe nur noch Weicheier, heißt es dann, und der Leistungsgedanke sei doch für das ganze Leben wichtig. In Englisch oder Mathe könne man doch auch keine Mitleidspunkte… An diesem Punkt muss ich immer „Stop!“ sagen.

Ich kann mich noch ganz gut an meinen eigenen Sportunterricht erinnern. Beim Geräteturnen saßen wir die meiste Zeit auf Turnmatten und schauten zum Reck, zum Barren oder auf den Kasten. Der Sportlehrer erklärte, was zu tun sei, dann rief er einen der Mitschüler auf, die im Sportverein turnten. „Ingo, mach mal vor.“ Ingo machte vor. Der Rest machte nach. Dann gab es Noten.

Vernünftig war das noch nie. In Englisch oder Mathe wird alles, was man für eine gute Note braucht, auch wirklich unterrichtet. Wer aufpasst, lernt und die Hausaufgaben macht, kann beste Noten erzielen. Aber in zweieinhalb Stunden Sportunterricht pro Woche kann man nicht wirklich trainieren, schon gar nicht, wenn man viel auf Turnmatten sitzt. Es wird ein Können abgefragt, das die Schule gar nicht vermitteln konnte. Es ist, als könnte man in Englisch nur eine Eins bekommen, wenn man zufällig in den USA aufgewachsen ist. Absurd? Beim Sport sind wir das gewöhnt.

Dass die Bundesjugendspiele sich ändern sollen, kann ich an sich durchaus nachvollziehen. Vor allem aber müsste sich der Schulsport ändern. Erst Recht in Zeiten, in denen immer mehr Kinder krasse motorische Defizite haben und mancher Fünftklässler nicht einmal eine Leiter hochsteigen kann. Wir müssen Sport, Bewegung und Fitness vermitteln, anstatt Leistungen abzufragen, die allenfalls in einem Sportverein erworben wurden.

In Ländern mit einem fortgeschrittenerem Bildungssystem wird im Sportunterricht durchaus benotet. Doch Noten gibt es nicht nur für die absolute Leistung, sondern auch für die relative. Soll heißen, wenn der übergewichtige Junge es in einem Jahr schafft, beim Weitsprung von gar nichts ins unterste Mittelfeld zu gelangen, ist das eine gute persönliche Leistung. Und das motiviert dazu weiterzumachen, anstatt Kinder zu Losern zu stempeln, die ihr Leben lang Sport hassen werden.

Natürlich muss dazu auch erst einmal Sportunterricht möglich sein. Immer wieder höre ich von Schulen, in denen Kinder aufgrund von Lehrer*Innenmangel seit Wochen keinen Sport mehr hatten. Die sollen dann bei Bundesjugendspielen Leistungen aus dem Hut zaubern?
Das finde ich unsportlich.

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Lisa Rößner
Beraterin für Bildung, Jugend und Sport