Auf den Anfang kommt es an! Wir wollen, dass alle Kinder in Baden-Württemberg die besten Chancen haben. Das können wir gemeinsam in Baden-Württemberg schaffen.
Während die grün-schwarze Landesregierung in Lethargie verharrt, kämpfen wir für einen Neustart in der Kita-Politik. Für Kinder und deren Eltern, aber auch für die Beschäftigten, die Kommunen und die Träger.
Nach neun Jahren Grün-Schwarz ist die Lage in den Kitas im Land extrem angespannt: Es herrscht Personalmangel, es werden Betreuungszeiten gekürzt, der Krankenstand der Beschäftigten ist hoch, auch die psychische Belastung nimmt zu. Bereits heute fehlen Kita-Beschäftigte überdurchschnittliche 30 Tage im Schnitt pro Jahr – Tendenz steigend. Gleichzeitig fehlen im Land nach wie vor 60.000 Kita-Plätze, deren Ausbau noch immer viel zu langsam vorangeht.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf leidet. Viel zu häufig sind es Mütter, die dann beruflich zurückstecken und als Fachkräfte fehlen. Durch den niedrigeren Arbeitsumfang von Müttern geht der Wirtschaft ein erhebliches Arbeits- und Fachkräftepotenzial verloren. Auch für die betreuten Kinder braucht es mehr Verlässlichkeit, da sie unter den stetig wechselnden Bedingungen leiden, wenn die Kita an einem Tag geöffnet und am anderen Tag geschlossen ist.
Auf der anderen Seite kommen Kinder mit immer vielfältigeren Hintergründen in die Einrichtungen. Der aktuelle Bildungsbericht stellt treffend fest: „Dies umfasst die zunehmende Heterogenität der Kinder, die sich in Kennzahlen zum Migrations- und Fluchthintergrund oder der Familiensprache widerspiegelt, sowie die damit zusammenhängenden Ungleichheiten, z.B. in der differenziellen Teilhabe an Früher Bildung.“¹ Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Doch die grün-schwarze Landesregierung verheddert sich im bürokratischen Klein-Klein von Maßnahmen wie dem sogenannten Erprobungsparagraphen, ohne eine Strategie zur Lösung der Kita-Krise zu haben.
Verlässlich, innovativ, erfolgreich, resilient: Mit unserem VIER-Stärken-Programm sorgen wir für kurzfristige Maßnahmen, um nach jahrelangem Nichtstun durch Grün-Schwarz Versorgungslücken zu schließen und mit einer langfristigen Strategie das Land der besten frühen Bildung für alle Kinder zu werden. Für uns gilt: Die Kita muss da sein. Die Kita muss offen sein.
Unsere zentralen Forderungen sind folgende:
- Wir fordern einen Kita-Platz für alle Kinder und ein zusätzliches Investitionsprogramm des Landes
- Attraktive Aufstiegsmöglichkeiten für pädagogisches Personal
- Ausbau der praxisintegrierten Ausbildung (PiA)
- Einführung von Kita-Sozialarbeit für mehr Chancengerechtigkeit
- Gebührenfreie Kitas: für ein verbindliches letztes Kindergartenjahr
- Sozialindexbasierte Ressourcensteuerung für Kitas: Einführung des Sozialraumbudgets
- Sofortmaßnahmen zur Entlastung von Familien: Kita-Platz-Sharing und Kombi-Modelle
- Entlastung des Personals durch Ausweitung der Leitungszeit und Einstellung von Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften
1. Frühe Bildung ist verlässlich
Verlässlichkeit bedeutet Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder sich altersgerecht entwickeln und gefördert werden können sowie verlässliche Strukturen für die Beschäftigten und die Familien zu etablieren. Verlässlichkeit heißt, die Kita als Bildungseinrichtung zu stärken, die mit hoher Qualität und ohne Gebühren für jedes Kind einen guten Start in die Bildungsbiografie ermöglicht.
1.1 Für einen Kita-Platz für alle Kinder
Die Kita muss für alle da sein. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass jedes Kind einen Kita-Platz erhält. Für Familien muss klar sein: Wenn beide Elternteile nach der Elternzeit wieder arbeiten gehen, muss ein Kita-Platz für ihr Kind vorhanden sein. Baden-Württemberg belegt jedoch bei der Betreuungsquote von unter Dreijährigen bundesweit den vorletzten Platz.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf bedeutet auch, ein gutes Betreuungsangebot in der Nähe zu haben. Das Land muss die Kommunen daher mit einem noch umfangreicheren Investitionsprogramm finanziell unterstützen, um hier bedarfsgerechte Lösungen zu finden. Mit einem Volumen von 20 Mio. Euro pro Jahr soll das Land für die Schaffung zusätzlicher Betreuungsplätze sorgen. Es fördert dabei die Kommunen, indem es Neubau-, Ausbau-, Umbau-, Sanierungs- und/oder Ausstattungsmaßnahmen unterstützt, die mit der Schaffung neuer, zusätzlicher Plätze einhergehen sowie mit dem Erhalt von Plätzen verbunden sind. Ziel des Ausbaus der Betreuungskapazitäten soll eine Konkretisierung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz in Form einer 7-Stunden-Garantie im Jahre 2032 sein. Darüberhinausgehende Öffnungszeiten sollen überall da zugänglich sein, wo sie gebraucht werden.
1.2 Fachkräfte gewinnen und sichern
Um die Qualität und Stabilität in den Kitas zu sichern, braucht es umfassende Maßnahmen zur Qualifizierung, Unterstützung und Förderung der pädagogischen Fachkräfte. Ziel ist es, nicht nur neue Fachkräfte zu gewinnen, sondern auch die Fachkräfte, die in unseren Kitas jeden Tag wertvolle Arbeit leisten, wertzuschätzen und durch Entlastungen sowie attraktive Entwicklungsmöglichkeiten langfristig im System zu halten.
1.2.1 Aufstiegsmöglichkeiten für pädagogisches Fachpersonal
Im Land braucht es eine echte Personaloffensive, damit nicht mehr jede dritte Fachkraft das Feld verlassen oder Stunden reduzieren will.² Außerdem fehlen laut einer Bertelsmann-Studie aus dem Jahr 2023 noch immer über 18.000 pädagogische Fachkräfte. Zunächst einmal bedarf es daher attraktiver Bedingungen für diejenigen Fachkräfte, die bereits in den Einrichtungen arbeiten. Daher gilt es, die Profile der vorhandenen Fachkräfte innerhalb eines Kita-Teams tarifrechtlich abzubilden, damit diese ihrem Spezialisierungsgrad entsprechend höher in S 8b des Tarifvertrags für den Öffentlichen Dienst, Sozial- und Erziehungsdienst (TVÖD SuE), eingruppiert werden können. Dies ist ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für das vielfach geforderte Personal und ein Weg hin zu mehr Verlässlichkeit. Beispielsweise können dann pädagogische Fachkräfte, die sich im Bereich der Sprachförderung fortbilden, höher eingruppiert werden. Für pädagogische Fachkräfte bieten sich damit Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb des Teams unabhängig von der Stelle der Kita-Leitung.
1.2.2 Anreize durch einen Rückkehr- und Aufstockungsbonus
Zur Linderung des Personalmangels wollen wir Anreize schaffen, damit pädagogische Fachkräfte kurzfristig ihre Arbeitszeit aufstocken können oder zurück in den Beruf finden, wofür wir eine Rückkehrprämie vorschlagen. Damit soll es besser gelingen, zusätzliche Kräfte für die frühkindliche Bildung zu gewinnen bzw. abgewanderte Fachkräfte von einer Rückkehr zu überzeugen und die teilweise hohe personelle Fluktuation in den Kitas oder der Kindertagespflege abzumildern.
1.2.3 Anwerbung ausländischer Fachkräfte
Um zusätzliches Personal zu gewinnen, sind kreative Lösungen gefragt wie z.B. die Anwerbung von ausländischen Fachkräften. Es braucht dringend bessere Verfahren, damit Abschlüsse aus dem Ausland schneller anerkannt werden. Wenn die Formalien nur teilweise erfüllt sind, sind individuelle Beratung und modulare Qualifizierungsmaßnahmen notwendig. Dies umfasst auch das Angebot von speziellen Fachsprachkursen, mit denen spezifische, für das Berufsbild der pädagogischen Fachkraft erforderliche, Sprachkenntnisse erworben werden können. Wir fordern, dass das Land – gemeinsam mit den Kommunen – ein Konzept zur gezielten Anwerbung ausländischer Fachkräfte entwickelt und zwar von der Anwerbung, über die Anerkennung des Abschlusses und den Spracherwerb bis zum Einstieg in den Beruf.
1.2.4 Gewinnung zusätzlicher pädagogischer Fachkräfte
Während angehende Handwerker:innen eine Ausbildungsvergütung erhalten, gehen Auszubildende im pädagogischen Bereich – abseits der praxisintegrierten Ausbildung – bisher leer aus. Das muss sich ändern. Daher fordern wir eine angemessene Ausbildungsvergütung einzuführen, um das Berufsbild attraktiver zu gestalten. Zugleich braucht es flexiblere Modelle, um schnell pädagogische Fachkräfte zu gewinnen. Ein geeignetes Instrument dafür stellt der Direkteinstieg Kita für Menschen mit Berufsausbildung dar. Er führt unter Nutzung von Arbeitsförderungen der Agenturen für Arbeit nach § 81 oder 82 SGB III nach zwei Jahren zum Abschluss Sozialpädagogische Assistenz und muss daher schnellstmöglich in die Fläche getragen werden. Durch die Arbeitsförderungen der Agenturen für Arbeit kann der Einkommensverlust der Auszubildenden zu einem großen Teil abgefedert werden, was zur Attraktivität des Modells beiträgt.
Zugangshindernisse und Abbruchquoten bei Direkteinstieg und Schulfremdenprüfungen müssen engmaschig evaluiert und aus den Ergebnissen müssen weitere Brücken für die Qualifizierung in der Kindertageseinrichtung geschlagen werden.
Die dritte Maßnahme, um neue pädagogische Fachkräfte zu gewinnen, stellt die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) dar. Sie ist ein Erfolgsmodell und muss daher weiter gestärkt und ausgebaut werden. Grund für die Attraktivität der PiA ist sicherlich auch, dass die Erzieher:innen dort von Beginn an eine Vergütung erhalten. Gleichzeitig wollen wir die Praxisintegrierte Ausbildung in Teilzeit stärken, um weitere Interessent:innen zu gewinnen. Letzteres soll durch zusätzliche finanzielle Anreize für die Aufstockung der Ausbildungspauschale umgesetzt werden. Bei einer Aufstockung der Ausbildungsplätze um 25 Prozent erhalten die Träger und Kommunen 250 Euro pro Monat und bei 50 Prozent erhalten sie eine Erstattung von 500 Euro pro Monat und pro im Zuge dessen neugeschaffenen Ausbildungsplatz. Auf diese Weise sollen in einem ersten Schritt etwa 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze entstehen. Zusätzliche Flexibilität bedeutet, die Ausbildungsprogramme für einen erweiterten Personenkreis attraktiver zu gestalten und zu ermöglichen.
2. Frühe Bildung ist innovativ
Frühe Bildung ist ein entscheidender Faktor für Chancengerechtigkeit und Integration. Durch kontinuierliche Qualitätsentwicklung in den Kindertageseinrichtungen und die Einführung von Kita-Sozialarbeit schaffen wir die nötigen Rahmenbedingungen, um jedes Kind optimal zu fördern und Familien gezielt zu unterstützen – für eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft, die neue Wege geht.
2.1 Qualität weiterentwickeln
Baden-Württemberg ist ein vielfältiges Land. Sein Reichtum an Talenten und Potenzialen ist seine Stärke. So profitieren zum Beispiel 28 Prozent der baden-württembergischen Kinder davon, mehrsprachig aufzuwachsen.³ Innovative, qualitätsvolle Bildungspolitik trägt dieser Tatsache Rechnung.
Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen ist essenziell, um jedes Kind bestmöglich in seiner Entwicklung zu unterstützen und gleiche Chancen auf Bildung von Anfang an zu gewährleisten. Gerade in einer Gesellschaft, die sich durch zunehmende Diversität und veränderte Familienstrukturen auszeichnet, wird die Kita zu einem zentralen Lernort für eine vielfältige, inklusive Gesellschaft.
Ein verbindlicher Orientierungsplan, der flächendeckend gleiche Qualitätsstandards setzt, ist dabei ein unverzichtbares Instrument. Er sorgt für Transparenz und Verlässlichkeit – sowohl für Eltern als auch für pädagogische Fachkräfte. Damit dieser Plan in der Praxis seine Wirkung entfalten kann, braucht es multiprofessionelle Teams, die die Qualifikationen und Kompetenzen unterschiedlicher Professionen vereinen. Diese Vielfalt ermöglicht es, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder individuell einzugehen und den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden.
2.2 Kita-Sozialarbeit für mehr Chancengerechtigkeit
Eine hohe Qualität in Kindertageseinrichtungen bildet die Grundlage für Bildungsgerechtigkeit und stärkt den sozialen Zusammenhalt in einer vielfältigen Gesellschaft. Um Familien gezielt zu unterstützen und Chancengerechtigkeit zu fördern, soll es das Angebot von Kita-Sozialarbeit in Kindertageseinrichtungen geben.
Die konzeptionell hinterlegte Kita-Sozialarbeit legt den Schwerpunkt auf sozialarbeiterischer Beratung mit Lotsenfunktion für Familien, Brückenbauen zu Ämtern und Behörden, Angeboten der Familienbildung, Präventionsangeboten sowie Austausch und Vernetzung mit der Kita und Angeboten des Sozialraums. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zum Abbau von ungleichen Bildungschancen. Außerdem werden pädagogische Fachkräfte entlastet, die bislang diese Aufgaben in unzähligen Elterngesprächen zusätzlich zur Arbeit mit den Kindern erledigen.
Ziel der Kita-Sozialarbeit sollen niedrigschwellige, lösungs- und ressourcenorientierte Beratungs- und Begleitungsprozesse mit Eltern und pädagogischen Fachkräften sein. Der Blick auf die Lebenswelt der Eltern und auf den Sozialraum der Einrichtung ist zentral für eine gelingende Umsetzung der Arbeit. Kita-Sozialarbeit ermöglicht eine Verknüpfung der vorhandenen Ressourcen in und um Kitas und verhindert damit die Schaffung von Parallelstrukturen. Mit dieser Maßnahme schaffen wir Verlässlichkeit für das pädagogische Personal, Verlässlichkeit in der Beziehung zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft und eine größere Effizienz der vorhandenen Unterstützungsstrukturen abseits der Kita.
Um geeignete Fachkräfte gewinnen zu können, sollen Kita-Sozialarbeiter:innen bzw. Sozialpädagog:innen in S12 des TVÖD SuE eingruppiert werden. Für die Fachkräfteanwerbung sollen spezielle Recruiting-Programme zum Einsatz kommen, die von einer Imagekampagne des Landes flankiert werden.
3. Frühe Bildung ist erfolgreich
Der Bildungserfolg von Kindern darf nicht von ihrem sozialen oder finanziellen Hintergrund abhängig sein. Eine erfolgreiche frühe Bildung schafft Chancengerechtigkeit für alle Kinder. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass alle Kinder gut vorbereitet in die Schule kommen und Familien umfassend und passgenau unterstützt werden.
3.1 Für ein verbindliches letztes Kita-Jahr
Laut Zahlen des Statistischen Landesamtes haben 2023 neun Prozent der Kinder nicht am letzten Kita-Jahr teilgenommen. Auch diese müssen wir zukünftig erreichen. Denn das letzte Kindergartenjahr hat eine herausgehobene Bedeutung, da hier besonders diejenigen Kompetenzen gefördert werden, die Kinder für einen gelingenden Start in der Schule benötigen. Wir fordern daher, dass alle Kinder im letzten Jahr vor der Einschulung eine Kindertageseinrichtung oder eine Kindertagespflege besuchen. Als Einstieg in die Gebührenfreiheit soll das letzte Kita-Jahr für die Familien kostenfrei sein, die Finanzierung des Elternbeitrags übernimmt das Land, wobei die Beitragsfreiheit für eine Grundbetreuung im Umfang von 35 Wochenstunden gilt. Dazu müsste §6 des Kindertagesbetreuungsgesetzes entsprechend geändert werden. Mit einem verbindlichen letzten Kita-Jahr gehen Qualitätsentwicklung, Beitragsfreiheit und Verlässlichkeit Hand in Hand.
An der vollständigen Gebührenfreiheit des Besuchs einer Kita halten wir unverändert fest, denn jedes Kind hat – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern – einen Anspruch auf beste Bildung.
3.2 Die Kita mitten im Leben
Ein bekanntes afrikanisches Sprichwort lautet: „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Das bedeutet für uns: Die Kita ist ein lebendiges, gut vernetztes Bildungshaus. Die sozialraum- und lebensweltorientierte Vernetzung der Kita ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche frühkindliche Bildung, weil sie den Blick auf die unterschiedlichen Lebensrealitäten von Kindern und Familien richtet. Vielfältige Kooperationen mit Vereinen und anderen Institutionen in der unmittelbaren Umgebung wie Büchereien oder Sporteinrichtungen fördern den Austausch und die Zusammenarbeit vor Ort und machen die Kita zu einem wichtigen Bestandteil des Stadtteillebens. Frühkindliche Bildung baut so Brücken zu weiteren Angeboten für Kinder und Familien, wie beispielsweise Beratungsdiensten oder Freizeitmöglichkeiten, und trägt so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt insgesamt bei. Für eine erfolgreiche sozialraumorientierte Vernetzung müssen den Kitas ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden.
3.3 Ressourcen gerecht verteilen: das Sozialraumbudget
Durch den derzeitigen Personalmangel erhalten immer mehr Kinder nicht die individuelle Förderung, die sie bräuchten. Eine Studie der Soziologin Gaia Ghirardi hat herausgefunden, dass unter günstigen Bedingungen gerade Kinder aus finanziell benachteiligten Familien von einem Kita-Besuch profitieren, da sie dadurch ihre kognitiven Kompetenzen, vor allem den Wortschatzerwerb, deutlich verbessern können. Da sich soziale Ungleichheit und die Ungleichverteilung von Bildungschancen bereits in Kindertageseinrichtungen manifestieren, ist es unser Ziel, die sozialindexbasierte Ressourcensteuerung auch auf Einrichtungen der frühkindlichen Bildung auszuweiten.
Wir wollen, dass alle Kinder beste Chancen haben. Deshalb schlagen wir die Einführung eines Sozialraumbudgets vor, das – analog zur sozialindexbasierten Ressourcensteuerung für Schulen – Ressourcen gezielt und verstärkt dort zum Einsatz bringt, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Rheinland-Pfalz zeigt, wie das gelingen kann: Anhand einer umfangreichen Sozialdatenermittlung zur Zahl der Kinder unter sieben Jahren ohne deutsche Staatsangehörigkeit, zur Anzahl der Alleinerziehenden- Haushalte und zur Anzahl der Kinder unter sechs Jahren in Bedarfsgemeinschaften nach dem SGB II sowie ausführlichen Fragebögen zu Situationsberichten, die an die Kindertagesbetreuungseinrichtungen geschickt werden, wird berechnet, welche Kindertageseinrichtungen einen erhöhten Personalbedarf aufweisen. Die getroffene Auswahl der Kriterien berücksichtigt im Besonderen Studienergebnisse aus dem Bereich der Ungleichheitsforschung in Kindheit und Jugend. Die Umsetzung der Einführung des Sozialraumbudgets erfolgt durch eine Änderung von § 2a Abs. 3 des Kindertagesbetreuungsgesetzes. Die Landesmittel können jährlich genutzt werden und verteilen sich gemäß den oben genannten Kriterien auf die örtlichen Träger der Jugendhilfe. Mit dem Sozialraumbudget können entweder Kita-Sozialarbeiter:innen finanziert oder mehr personelle Ressourcen für pädagogische Fachkräfte in den Kitas bereitgestellt werden.
Von der Einführung des Sozialraumbudgets profitieren so auch die Kinder, die keinen erhöhten Förderbedarf haben, da die zusätzlichen Personalressourcen auch ihnen zugutekommen. Das schafft eine Basis für mehr Verlässlichkeit und Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer stabilen Beziehungsqualität zwischen pädagogischer Fachkraft und Kind.
4. Frühe Bildung ist resilient
Maßnahmen, um Kindern einen Einstieg in die Kita zu ermöglichen, und die Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte stärken die Resilienz des Kita-Systems, indem sie kurzfristige Engpässe abfedern und langfristig stabile Strukturen schaffen. Sie entlasten Familien und Fachkräfte gleichermaßen, helfen die Phase fehlender Ressourcen zu überbrücken und schaffen Verlässlichkeit, die es ermöglicht, die aktuellen Herausforderungen besser zu bewältigen.
4.1 Sofortmaßnahmen zur Entlastung von Familien: Kita-Platz-Sharing und Kombi-Modelle
Unser Ziel muss es sein, bessere Rahmenbedingungen und mehr Verlässlichkeit für Familien zu schaffen, mit denen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen kann. Doch noch immer fehlen im Land 60.000 Kita-Plätze. Für den Übergang schlagen wir deshalb ein Kita-Platz-Sharing vor, mit dem Kinder Schritt für Schritt willkommen geheißen werden sollen. Wenn in einer Kommune zu wenige Kita-Plätze zur Verfügung stehen, können sich neue Kinder (ab einem Jahr) einen Platz solange teilen, bis weitere Kapazitäten frei werden. Die Aufteilung des Kita-Platzes kann in der Regel tageweise erfolgen. Beispielsweise startet ein Kind in einer Ganztagsbetreuung mit zwei Tagen in der Kita, stockt dann auf drei und später auf fünf Tage auf. Ein Kind teilt seinen Kita-Platz nur solange wie nötig, wobei die Zeitspanne je nach Wohnort und Einzelfall variieren kann. Dadurch können Eltern frühestmöglich zumindest in Teilzeit wieder ihre Beschäftigung aufnehmen. Mit dem Platz-Sharing handelt es sich um ein Instrument, das in Zeiten akuter Platznot kurzfristig und übergangsweise Linderung schaffen und zumindest eine teilweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen kann.
Die zweite Maßnahme, die kurzfristig und übergangsweise Familien entlasten soll, stellen Kombi-Modelle wie z.B. das Offenburger Modell dar. Pädagogische Fachkräfte gestalten dabei bis zu sieben Stunden pro Tag qualitativ hochwertig Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kita, die durch Betreuungs- und Spielzeit am Nachmittag durch externe Kräfte ergänzt wird. Kinder und Fachkräfte profitieren von mehr Zeit für die pädagogische Arbeit, Eltern erhalten wieder eine weitestgehend verlässliche Betreuungszeit. Das entlastet Kinder und ihre Familien, die ansonsten unter kurzfristigen Schließungen oder Reduzierungen der Öffnungszeiten leiden müssten. Das Kindeswohl muss jedoch höchste Priorität haben, weshalb es für solche Kombi-Modelle klar definierte Qualitätsmerkmale und ein entsprechendes Kinderschutzkonzept geben muss, damit die Scharniere aus frühkindlicher Bildung und Betreuung sinnvoll ineinandergreifen können.
4.2 Starke Teams für starke Kinder
Die Ausweitung der Leitungszeit und die Einstellung von Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften, die das Land finanzieren muss, tragen entscheidend dazu bei, dass Kita-Teams gestärkt werden, indem sie sowohl Kita-Führungskräfte als auch die pädagogischen Fachkräfte entlasten und ihnen mehr Raum für ihre eigentlichen Aufgaben geben. Eine garantierte, bedarfsorientierte Leitungszeit ermöglicht es den Leitungskräften, ihre Aufgaben im Bereich Personalmanagement, pädagogische Führung und Organisationsentwicklung ohne Einschränkungen der Betreuung wahrzunehmen. Gleichzeitig sorgt die Einstellung von Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften dafür, dass administrative und organisatorische Aufgaben sowie alltägliche Arbeiten, die nicht direkt mit der Bildungsarbeit zu tun haben, übernommen werden. So können sich die pädagogischen Fachkräfte auf die pädagogische Arbeit mit den Kindern konzentrieren – der beste Qualitätsgarant der frühkindlichen Bildung.
¹Bildungsbericht 2024, S. 89
²Ver.di Kita-Personalcheck Baden-Württemberg 2022/2023, S. 9
³Bildungsbericht 2024, S. 120