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1. Status Quo und Problemanalyse
1.1 Keine Daten = keine Grundlage
Um die Lage am Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg zu verstehen und die Probleme politisch zu lösen, muss man zunächst wissen, wie sich die Situation vor Ort konkret darstellt: Wo sind die Wohnungsmärkte angespannt, wo ist der Bedarf nach Sozialwohnungen besonders hoch, wo der Bedarf nach altersgerechtem oder Wohnraum für Auszubildende? Wir haben deswegen die Landesregierung nach Zahlen zu den unterschiedlichsten Regionen befragt: In Ballungsräumen und auf dem Land, in Großstädten, im ländlichen Raum, vom Schwarzwald bis zum Bodensee, von Stuttgart bis zur Alb. Wir wollten wissen, wie sich die Mieten in den letzten Jahren entwickelt haben, welche Akteure an den Wohnungsmärkten vorhanden sind, wie viele Sozialwohnungen es wo gibt und wie viele Menschen, die eine solche Wohnung brauchen. Die Antworten, die wir erhalten haben, waren erschreckend dünn. Die Landesregierung, so stellt sich heraus, sammelt kaum systematische Daten zu

  • dem Bedarf an sozial gebundenem und bezahlbarem Wohnraum
  • der Entwicklung des Bestands an sozial gebundenem und bezahlbarem Wohnraum
  • Gebieten, in denen der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum besonders hoch ist
  • der Entwicklung dieser Parameter in den vergangenen Jahren bis heute.

Das legt die Frage nahe: Auf welcher Basis baut die Landesregierung eigentlich ihre Politik auf? Auf einer solchen Grundlage kann keine sinnvolle, weitsichtige und bedarfsorientierte Wohnungspolitik gemacht werden.

1.2 Zu wenig Geld
Baden-Württemberg stellt für jeden Euro, den es aus dem Bund für bezahlbaren Wohnraum erhält, nur circa 35 Cent aus der Landeskasse bereit – zur Orientierung: die absolute Untergrenze liegt bei 30 Cent.
2023 waren die im Landeshaushalt zur Verfügung stehenden Mittel für die Wohnraumförderung deswegen bereits nach wenigen Wochen im Mai vollständig belegt. 2024 wird es aller Voraussicht nach genauso kommen. Um möglichst unkompliziert weitere Mittel zu beschaffen, hat die Landesregierung kurzerhand Mittel, die den eindeutigen Zweck hatten, Wohnraum für Auszubildende zu schaffen, in die Wohnraumförderung übertragen – diese fehlen nun also für Azubi-Wohnheime. Eine Förderrichtlinie, um Wohnraum für Auszubildende zu schaffen, hat Baden-Württemberg als eines der wenigen Länder in der Bundesrepublik noch immer nicht auf den Weg gebracht.
Im Vergleich der Bundesländer gibt Baden-Württemberg so wenig eigenes Geld für die Wohnraumförderung aus, wie strukturschwache Länder. Ganz anders Bayern: Der Freistaat steuert mehr als das Dreifache aus der eigenen Kasse für die Wohnraumförderung bei, als Baden-Württemberg. Gleichzeitig sind wir unter den Schlusslichtern bei der Zahl der Sozialwohnungen und Spitzenplatz beim Bedarf. Erst kürzlich hat eine Studie ermittelt, dass im Ländle über 200.000 bezahlbare Wohnungen fehlen. Es ist daher grundfalsch, dass Baden-Württemberg als eines der reichsten Bundesländer nur ein Minimum an eigenen Mitteln für sozialen Wohnungsbau bereitstellt.

1.3 Keine Priorisierung: Das Windhundprinzip in der Förderung
Es gibt in Baden-Württemberg einen Topf, in dem alle Mittel für die verschiedenen Arten der Wohnraumförderung landen, hier findet keinerlei Priorisierung statt. Das heißt beispielsweise, bei der Vergabe der Mittel wird nicht unterschieden, ob es sich um einen Antrag auf Förderung von Wohneigentum für einen Haushalt oder um eine Förderung von zusätzlichem Mietwohnraum für mehrere Haushalte handelt.
Das hat zur Konsequenz, dass ebenfalls nicht unterschieden wird, ob der Kauf eines bestehenden Hauses auf dem Land gefördert wird, die Schaffung zusätzlichen Wohnraums in Ballungsgebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt oder der Neubau von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese. Außerdem ist die Förderung von Wohneigentum im Ländervergleich in Baden-Württemberg exorbitant hoch: Hier werden Privatpersonen im Durchschnitt mit sechsstelligen Beträgen gefördert – und zwar unabhängig davon, ob sie neuen, also zusätzlichen Wohnraum schaffen, oder nicht. Es gilt lediglich: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Aktuell ist irrelevant, ob eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft zusätzlichen bezahlbaren Mietwohnraum schaffen will, oder ein gut verdienendes Paar Fördermittel für den Kauf eines Hauses beantragt, und diese aufgrund in der Elternzeit gesunkener Einkünfte erhält. Die Anträge werden nach Eingangsstempel bearbeitet – bis die Mittel vollständig belegt sind. Das ist in Anbetracht der großen Unterschiede im Land weder gerecht noch zielführend. Es beseitigt weder den Mangel an altersgerechtem Wohnraum in den Ortskernen im ländlichen Raum noch den Mangel an Mietwohnungen in den Zentren großer Städte.

1.4 Fehler bei Ausgestaltung und Ausstattung
Wir haben nicht nur Zahlen abgefragt, sondern wir waren im ganzen Land unterwegs und haben uns die
Situation vor Ort angeschaut. Dabei haben wir festgestellt: Die Landeswohnraumförderung ist weder
sinnvoll ausgestaltet, noch ausreichend ausgestattet. Es stehen zu wenige Mittel zur Verfügung, die außerdem weder ziel- noch bedarfsgerecht vergeben werden. Diejenigen Akteure, die sich unter den erschwerten Bedingungen noch um die Schaffung von dringend benötigtem Wohnraum bemühen, sind hoch engagiert und schaffen beeindruckende Projekte, aber: Sie arbeiten gegen Windmühlen und nicht mit Rückenwind vom Land. Die Problemlage stellt sich wie folgt dar:

  • Das Land stellt zu wenig eigene Mittel bereit, deswegen sind zu schnell keine Fördergelder mehr
    vorhanden.
  • Kommunen, die den Bedarf vor Ort kennen und gemeinwohlorientierte Bauträger werden alleine
    gelassen: Wer findig ist, bekommt eine Förderung – unabhängig davon, ob der Wohnraum, der
    dann gefördert wird, auch gebraucht wird.
  • Es findet keinerlei Priorisierung statt: Wer in einem angespannten Wohnungsmarkt bezahlbaren
    Mietwohnraum schaffen will, wird genauso behandelt, wie Akteure, die nicht gemeinwohl- oder
    bedarfsorientiert handeln.

Für Familien, die sich den Traum vom Eigenheim verwirklichen wollen, gleicht die bestehende Förderlandschaft einer Lotterie: Ob sie eine Förderung (die im Einzelfall durchaus sehr hoch ausfallen
kann) erhalten oder nicht, ist nicht verlässlich. Denn auch in der Eigentumsförderung gilt: Wessen
Antrag unten auf der Liste landet, der hat das Nachsehen, wenn die Mittel vollständig belegt sind.
Das ist nicht gerecht und besonders katastrophal für Haushalte, die nicht über große Rücklagen
verfügen.
Zu wenig neuer Wohnraum entsteht: Allein im Bereich der Eigentumsförderung entfällt ungefähr
die Hälfte der Bewilligungen auf den Bestandserwerb – damit entsteht kein zusätzlicher Wohnraum.
Für uns ist klar: Aktuell haben wir in Baden-Württemberg keine sinnvolle und zielgerichtete Wohnraumförderung. Der Staat nutzt in Baden-Württemberg nicht im Ansatz die Instrumente, die ihm zur Verfügung stehen. Die Landesregierung kann und muss hier steuern.

2. Was wir fordern
2.1 Ein Euro aus dem Land pro Euro aus dem Bund – mindestens!
Baden-Württemberg muss seine finanziellen Bemühungen verdreifachen: Während andere Länder ein
Vielfaches aus der eigenen Kasse auf die Fördermittel vom Bund legen, steuert Baden-Württemberg nur
das Mindeste bei. Für uns bedeutet das: Jeder Euro, den Baden-Württemberg aus dem Bund erhält, muss von mindestens einem Euro aus dem Land flankiert werden.

2.2 Priorisierung einführen
Die Wohnraumförderung muss anders ausgestaltet werden. Derjenige Wohnraum muss priorisiert gefördert werden, der auch am dringendsten gebraucht wird.
Konkret bedeutet das:

  • Der Neubau von bezahlbarem Mietwohnraum, vor allem von altersgerechtem Wohnraum im Geschossbau, muss priorisiert gefördert werden.
  • Gemeinwohlorientierte Akteure und kommunale Wohnungsbaugesellschaften müssen in den
    Mittelpunkt der Förderung rücken.
  • Die Mittel für Auszubildenden- und Studierendenwohnen müssen auch für diesen Zweck vergeben werden.
  • Die Schaffung von Wohneigentum bauen wir durch eine Entlastung bei der Grunderwerbsteueraus (s.u. Punkt 2.3).
  • Die bisherige Eigentumsförderung in ihrer ineffizienten und sozial ungerechten Form wird nicht fortgesetzt.
  • Die Entlastung bei der Grunderwerbsteuer gilt für alle Berechtigten und ist unabhängig sowohl vom Zeitpunkt der Antragstellung als auch den Fördertöpfen und deswegen gerechter.
  • Förderungen für Sozial- und Belegungsbindungen von unter 25 Jahren werden nicht mehr angeboten, längere Bindungen demgegenüber besser gefördert.

2.3 Keine Grunderwerbsteuer für junge Familien
Menschen, die in Baden-Württemberg leben, brauchen eine echte Chance auf Wohneigentum. Der Erwerb von Bestandsimmobilien, vor allem der Kauf freiwerdender Einfamilienhäuser durch junge Familien zurSelbstnutzung, ist für uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unbedingt unterstützenswert. Der Immobilienerwerb ist eine wichtige Möglichkeit der Vermögensbildung und Altersvorsorge. Wenn bestehende Häuser von Familien neu genutzt werden, führt das außerdem zu einer Belebung von Kommunen, gerade abseits der urbanen Zentren.
Da die bestehende Eigentumsförderung, wie oben erläutert, weder effizient noch zielführend ist, schlagen wir eine Entlastung bei der Grunderwerbsteuer vor. Dies ist nicht nur zielgerichteter und einfacher, als das bestehende System, es profitieren auch viel mehr Menschen davon. Sie gilt für alle Berechtigten – und nicht nur für diejenigen, die besonders schnell oder besonders gut beraten sind. Wir wollen, dass die Grunderwerbsteuer für Erstkaufende bei Selbstnutzung gestrichen bzw. rückerstattet wird.

3. Zusammenfassung
Die Lage am Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg ist besorgniserregend – das wissen alle Akteure!
Wohneigentum bleibt für viele Menschen ein unerreichbarer Traum während hohe Mieten und zu wenig
Wohnraum für unzählige Haushalte zur untragbaren Belastung geworden sind. Politik hat die Aufgabe, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Probleme zu erkennen und zu lösen.
Bei der aktuellen Landesregierung fehlt es allerdings bereits an einer systematischen Erfassung grundleger Daten, wie unsere Abfragen gezeigt haben.
Während der Bund auch 2024 wieder mehr Geld für die Wohnraumförderung zur Verfügung stellt, vergibt man im Land gleichzeitig zwei Möglichkeiten:

  • Erstens: Die Mittel können aufgrund mangelnder Kofinanzierung des Landes ihre Wirkung nicht
    voll entfalten.
  • Zweitens: Die Mittel werden nicht sinnvoll und zielführend eingesetzt.
    Das hat zur Folge, dass diejenigen Gruppen, die besonders unter dem Wohnraummangel und den gestiegenen Preisen leiden, wie etwa Auszubildende und ältere Menschen, bei der Vergabe der Mittel und damitam Wohnungsmarkt das Nachsehen haben.

Wir wollen eine kluge, weitsichtige und vor allem zielgerichtete und bedarfsorientierte Vergabe der Mittel, die zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums zur Verfügung stehen. Als Sozialdemokrat*innen sehen wir es als zentrale Aufgabe des Staates an, soziale Fragen auch mit finanziellen Mitteln zu lösen. Für uns gehört aber auch die Verteilung dieser Mittel zu den Kernaufgaben eines verantwortungsvollen Sozialstaats. Wir müssen dafür sorgen, dass am Wohnungsmarkt der Wohnraum entsteht, der gebraucht wird – das ist in Baden-Württemberg aktuell leider nicht der Fall. Fehlanreize sorgen dafür, dass die Mittel nicht zielgerichtet eingesetzt werden und es gibt Mitnahmeeffekte.
Mit den vorgelegten Veränderungen würden die Fehler der Landesregierung korrigiert. Die Wohnraumförderung könnte so die Aufgabe erfüllen, die für unser Land so wichtig ist: Die größte soziale Herausforderung des 21. Jahrhunderts lösen. Das heißt: Bezahlbaren Wohnraum für diejenigen schaffen, die ihn am dringendsten brauchen, ihn dort begünstigen, wo er am wichtigsten ist und die eigene Immobilie wieder zur realistischen Option machen.

Die Wohnraumförderung muss in erster Linie zur Wohnbauförderung werden.

Ansprechpartner

Daniel Born
Stellvertretender Landtagspräsident

Sven Plank
Berater für Wirtschaft, Arbeit, Tourismus, Wissenschaft, Forschung und Kunst