Es soll an dieser Stelle ja immer um Tagespolitik gehen, aber manchmal muss ich halt auch mal ins Grundsätzliche abbiegen. Wenige Tage vor der Bundestagswahl habe ich hier mal prognostiziert, wer im März Bundeskanzler ist. Olaf Scholz, war meine Vorhersage – ganz einfach, weil entgegen landläufiger Meinungen (und etlicher Schlagzeilen) bei einer Bundestagswahl keine Kanzlerin und kein Kanzler gewählt wird und nicht am Tag nach der Wahl in Berlin die Umzugswagen anrücken. Olaf Scholz ist auch jetzt, Mitte April, noch Kanzler. Und er bleibt das so lange, bis Friedrich Merz im Amt ist. Entgegen landläufiger Meinungen (und etlicher Schlagzeilen) ist Deutschland nicht „ohne Regierung“.

Ich habe jetzt mit landläufigem Unsinn angefangen und kann gleich so weitermachen: Offenbar hat ein Teil dieses Landes und seiner Medien im Moment ein ganz besonderes Problem mit der nächsten Bundesregierung: Wie nennt man sie? „Ampel“ war doch so schön kurz, passte in Überschriften und produzierte Autofahrer-Antipathien („Schon wieder eine Ampel!“). Und nun? Marienkäfer-Koalition? Lava-Koalition? The Koalition formerly known as Groß? Kleiko? Wie soll man das denn nennen? Ich habe auch hier einen Tipp: Bundesregierung. Geht immer. Und dann vielleicht mal auf die INHALTE schauen statt auf die Überschriften.

Weiter mit landläufigem Unsinn: Die Koalitionsverhandlungen waren weder ein Strategiespiel noch ein Fingerhakeln, und es ist, mit Verlaub, dämlich, mit Spielanalysen wie beim Fußball um die Ecke zu kommen. Dass so viele Ergebnisse den Forderungen der SPD entsprechen ist weder Zufall noch ein Punktsieg, sondern entspricht schlicht der Faktenlage: Wir müssen investieren, wir müssen die Gesellschaft zusammenhalten, wir müssen Arbeitsplätze sichern und Wohnungen bauen. Wer behauptet, wir müssten Arbeitsplätze vernichten und Wohnungen abreißen?

Umgekehrt werden wir feststellen, dass eine mehrheitlich aus CDU und CSU bestehende Bundesregierung immer wieder Entscheidungen treffen wird, die für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mindestens einen schweren Kompromiss bedeuten. Das kann nicht anders sein, und das muss auch jetzt schon deutlich gesagt werden, während unsere Mitglieder über eine Regierungsbeteiligung abstimmen. Nach dem Wahlergebnis vom Februar wird eine neue Regierungskoalition sich ihre Politik nicht von SPD-Parteitagen in den Block diktieren lassen, das sollte uns allen klar sein. Ja, ich bin zufrieden mit diesem Koalitionsvertrag, und ich finde, wir alle in der SPD können damit zufrieden sein. Aber wir können uns auch darauf einstellen, dass es für uns Zumutungen geben wird.

Genau das sollten wir aber auch allen Leuten klarmachen, überall in Deutschland. Wir haben als SPD erreicht, dass Deutschland wesentlich besser auf die Krisen unserer Zeit reagieren kann, mit mehr Geld, mit mehr Entschlossenheit. Wir haben erreicht, dass sich die nächste Bundesregierung mehr zumuten kann. Aber die Weltlage ist unglaublich unsicher geworden. Allein mit seiner Zollwut hat US-Präsident Donald Trump in wenigen Tagen an den Börsen der Welt Finanzwerte von rund neun Trillionen Euro vernichtet, das ist ZEHN MILLIONEN MAL mehr Geld, als das gesamte Finanzpaket der nächsten Bundesregierung beinhaltet. Da muss man schlucken – und dann feststellen, dass niemand garantieren kann, dass solche Beben an Deutschland einfach vorbeiziehen werden.

Nein, wir müssen uns darauf einstellen, dass sich auch unsere Gesellschaft etwas zumuten muss. Als SPD sind wir mit am Ruder, als SPD wollen und werden wir verhindern, dass diese Zumutungen sozial einseitig ausfallen. Wir wollen Härten vermeiden und denen helfen, die Hilfe brauchen. Aber wer meint, dass in den kommenden Jahren alles beim Alten bleiben kann, der sollte mal wieder Nachrichten schauen. Das sollten wir nicht verschweigen. Nicht vor und nicht nach der Abstimmung in der SPD, nicht in der Partei und nicht in der Öffentlichkeit. In den schwersten Zeiten seit zwei Generationen wird es für uns nicht leichter werden. Ob wir es wollen oder nicht, die Welt wird uns mehr zumuten.

Und auch das gilt wieder genauso für Baden-Württemberg. Ich habe mich gefreut, dass meine Initiative, sich über die Parteigrenzen hinaus über ein Investitionspaket für das Land zu unterhalten, auch bei den Grünen und der CDU sehr offen aufgenommen wurde. Doch bei der Debatte im Landtag wurde ich den bösen Verdacht nicht los, dass die Landesregierung selbst in diesen Zeiten nicht aus dem Mus kommt. Irgendwie will man abwarten, der Bund soll erstmal und die Kommunen, die EU und der Schwäbische Albverein… aber bitte nicht die grün-schwarze Landesregierung. Habe ich gerade über die Leute geschrieben, die meinen, in diesen Zeiten könne alles beim Alten bleiben? Auf der Stuttgarter Regierungsbank sitzen einige dieser Leute. Das ist besorgniserregend, und es ist falsch. Donald Trump wartet so wenig auf Winfried Kretschmann wie Xi Jinping. Es wird Zeit für eine Landesregierung, die sich etwas zumutet.